Wie Innovationslabore Unternehmen bei der Digitalisierung unterstützen
Christian Lindener, CEO von Wayra, dem Lab der Telefonica im Interview
Viele Großkonzerne schätzen die Zusammenarbeit mit Start-ups, die das eigene Geschäft um neue Ideen und Services bereichern. Egal ob Produktmanagement, Kundenkommunikation oder Marketing und E-Commerce – die Bereiche, in denen Start-ups frischen Wind in die Unternehmen bringen und Wertschöpfung generieren, sind vielfältig. Doch die Zusammenarbeit ist nicht immer ganz einfach: auf der einen Seite ein Konzern, in dem Mitarbeiter Konkurrenz wittern und das „doch immer so gemacht haben“, auf der anderen Seite Start-ups, die mit ihrer hochgradig agilen Denkweise in den Großunternehmen nicht selten gegen Wände laufen. Digitalisierungs-Hubs und Innovationslabore sind in vielen Fällen der Ort, an dem beide Welten aufeinander treffen. Wir haben Christian Lindener, CEO bei Wayra, dem Innovation Lab der Telefonica-Gruppe, gefragt, wie das am besten klappt.
DMEXCO: Wenn Start-ups mit Großkonzernen zusammenarbeiten, kommt es oftmals zu Reibungsverlusten. Wie bringt man bestmöglich unterschiedliche Mentalitäten und Unternehmensstile unter einen Hut?
Christian Lindener: Zuerst einmal gilt es, die Erwartungshaltung aller Seiten eindeutig zu klären: Was bringt die Zusammenarbeit dem Start-up und welche Vorteile hat der Konzern? Haben beide Parteien klar definierte Ziele und gibt es überhaupt geeignete Strukturen, um eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu ermöglichen? Das gilt vor allem für die Konzerne, aber auch auf Seiten des Start-ups muss sichergestellt sein, dass man dort wirklich „corporate ready“ ist. Diese Fragen müssen vorab geklärt werden. Anschließend braucht das Start-up eine Einheit, die es zu den Entscheidern und Budgets im Konzern bringt und es auf diesem Weg auch schützt.
“Start-ups müssen ’corporate ready’ sein!”
DMEXCO: Eure Start-ups arbeiten viel mit agilen Verfahren. Müsst ihr bei Telefonica noch Überzeugungsarbeit leisten oder ist das inzwischen auch von den Großkonzernen „gelernt“?
Christian Lindener: Es ist unser täglich Brot, den Konzernen immer wieder das Neue zu evangelisieren, also die Vorteile daran zu vermitteln und klar zu machen, warum Start-ups so arbeiten wie sie es tun – auch nach sieben Jahren noch. Von selber lernen sie es nicht, aber wir können mit faszinierenden Beispielen überzeugen.
DMEXCO: Was für Produkte oder Services sind denn bereits aus der Zusammenarbeit hervorgegangen? Kannst Du ein, zwei konkrete Dinge nennen und die Benefits etwas ausführen?
Christian Lindener: Ein schönes Beispiel ist der Chatbot Lisa, der 70 Prozent aller Kundenanfragen über eine KI-Plattform automatisch beantwortet und unsere Hotline so entlastet. Unser Fokus für Lisa liegt aktuell darauf, Serviceanliegen zu lösen und die Kundeninteraktion smarter zu gestalten. Wir sammeln dabei Erfahrungswerte und beobachten sehr genau, was unsere Kunden wünschen. Oder das Start-up ebot7, das wir über die Marke O2 skalieren konnten. Auch hier geht es um den Einsatz Künstlicher Intelligenz und darum, mit Machine-Learning-Algorithmen Anfragen und Prozess-Workflows automatisiert zu lösen. Wir haben außerdem einige Projekte in der Pipeline, die disruptiver Natur sind. Darüber werden wir schon sehr bald sprechen.
DMEXCO: Was sind KPIs oder was ist der Maßstab dafür, ob eine Zusammenarbeit zwischen Telefonica als dem „Kunden“ (so beschreibt ihr es ja auch auf der Website) und dem Start-up gut funktioniert?
Christian Lindener: Nun, auf der einen Seite geht es um harten “Cash”. Wir messen anhand der Umsatzzahlen aber auch auf Basis von Einsparungen und neuen Produkten, wie erfolgreich die Zusammenarbeit letztlich ist. Gleichzeitig beobachten wir die schwer messbaren Parameter. Zum Beispiel, wie erfolgreich wir ein Ökosystem und eine Community im Rahmen der Zusammenarbeit aufbauen und betreiben und welche Strahlkraft dieses Ökosystem letztlich hat.
“Wir beobachten auch wie erfolgreich wir ein Ökosystem aufbauen.”
DMEXCO: Wie gelingen deiner Erfahrung nach Digitalisierungsprojekte am besten? Was sind die Rezepte und Tipps für Unternehmen, was die Stellschrauben, auf die es in der Zusammenarbeit zwischen den Partnern ankommt?
Christian Lindener: Meiner Erfahrung nach ist ein gut vorbereiteter Prozess entscheidend für den Projekterfolg. Projekte müssen sensibel und anhand von Kriterien wie dem möglichen Impact und der Chance auf Realisierung ausgewählt werden. Zudem ist es wichtig, ein ausgewogenes Verhältnis zu haben, was den Reifegrad oder Fortschritt der unterschiedlichen Vorhaben angeht. Am Ende muss eine saubere und mutige Entscheidung getroffen werden: Ende, Skalierung oder Spin-off.
DMEXCO: Ihr seid im Rahmen des Capital-Rankings kürzlich insbesondere dafür ausgezeichnet worden, dass ihr Digitalkonzepte und –projekte schnell und nachhaltig skalieren könnt, sie groß und erfolgreich macht. Wie geht das konkret?
Christian Lindener: Wir fangen sehr früh an, die richtigen Technologiefelder für den Konzern zu definieren. Dafür haben wir eigene Prozesse entwickelt und ein Team, das darauf spezialisiert ist, andere Wege zu denken – eine Kombination, die für Schnelligkeit sorgt. Gleichzeitig haben wir ein hervorragendes und belastbares Netzwerk an Investoren, Ökosystemen und weiteren Vehikeln, um die besten Start-ups ausfindig zu machen. Und dann pushen wir unseren Konzern zu Spitzengeschwindigkeiten, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren. Das Start-up skalieren wir über unsere verschiedenen Ländergesellschaften. Wir scheuen uns aber auch nicht davor, Projekte vorzeitig zu beenden, wenn sie nicht den Erwartungen entsprechen. In Summe generieren wir Cash für den Konzern…, viel Cash.
“In Summe generieren wir viel Cash für den Konzern.”
DMEXCO: À propos Ländergesellschaften: Wayra ist in zehn Ländern aktiv, also eines der eher seltenen international aufgestellten Digitalisierungs-Hubs. Hast Du Einblicke, was die Unterschiede zwischen den Mentalitäten und Märkten sind?
Christian Lindener: Ja klar, da gibt es große Unterschiede. Wir sprechen von völlig verschiedenen Ökosystemen, von denen jedes anders tickt. In Deutschland haben wir ein sehr reifes Start-up-Ökosystem, gute Unis, die hervorragende Unternehmen hervorbringen. Stark sind wir hier vor allem im B2B-Sektor. Dagegen hat Brasilien beispielsweise mehr als 200 Millionen Einwohner und zählt zu den Emerging Markets mit Nachholbedarf – ein riesiger Markt für B2C-Startups. Auch die Dimensionen in der Finanzierung müssen unterschiedlich gesehen werden: In Kolumbien kommt man mit mit 100.000 Euro ziemlich weit, während dieselbe Summe im deutschen High-Tech-Sektor gerade mal Luft für ein bis zwei Monate verschafft.
Fazit: Innovation, die sich finanziell niederschlägt
Für Großkonzerne ist ein Digital Hub eine gute Idee – und das nicht nur, um als modernes, für jüngere Mitarbeiter attraktives Unternehmen mit agilen Prozessen und Innovationskraft wahrgenommen zu werden. Unterm Strich macht sich ein Digitallabor bereits dann bezahlt, wenn ein oder zwei Services oder Features entstehen, die von der “das haben wir immer so gemacht”-Mentalität eines Konzerns unterdrückt worden wären. Denn die Atmosphäre eines solchen Innovation Labs ist oftmals nicht nur räumlich weit entfernt von der Arbeitswelt des dahinter stehenden Unternehmens.