Mit Customer-Intelligence Kundendaten erschließen

Der Fahrradhersteller Rose Bikes beobachtet seit 112 Jahren, wie Kunden kaufen. Sebastian Bomm, Director UX & CI, über einen einzigartigen Ansatz.

Interview-Sebastian-Bromm

Wie wichtig sind Rose Bikes Kundendaten?

Wir haben bei Rose Bikes die Relevanz von Kundendaten und die Möglichkeiten für echte Kundenmehrwerte auf Datenbasis erkannt und bauen unsere Kompetenz in diesem Bereich vehement aus. Deshalb haben wir diesem Thema mit der Abteilung Customer Intelligence auch einen eigenen Bereich im Unternehmen gewidmet. Dieser beschäftigt sich ausschließlich mit der Generierung, Aufbereitung und Analyse von Kundendaten. Eine ganze Reihe von Unternehmen fallen ja erst einmal in eine Art Schockstarre und haben Angst vor dem Datenthema, das ihnen wie eine Art Black Box erscheint. Aber wenn man mal genauer hinschaut, erkennt man: Es ist zwar unendlich komplex, man kann es aber in machbare Stufen separieren. Im Prinzip wirken immer die gleichen Mechanismen. Wir versuchen, nicht gleich das ganz große Big-Data-Rad zu drehen, sondern uns über Use Cases in ganz kleinem Rahmen dem Thema anzunähern. Das kann zum Beispiel die Frage sein, wie man Retourendaten verwenden kann, um Größenempfehlungen besser zu machen. Hier versuchen wir, erst manuell zu verstehen, wie man Ergebnisse manipulieren kann und welche Skaleneffekte sich hier ergeben können. Danach suchen wir nach einer technischen Lösung, extern oder intern.

Wie sammelt ihr Daten über die Nutzer?

Wir haben das große Glück, dass es uns schon ziemlich lange gibt, genauer gesagt seit 1907. Das heißt, wir wissen schon aufgrund unserer langen Historie sehr viel über unsere Kunden. Durch unsere lange Versandhandelshistorie mussten wir unseren Kunden schon immer über Distanz die richtigen Antworten liefern, da der Verkaufsberater nicht daneben stand. Darüber hinaus erwirtschaften wir 80 Prozent unserer Umsätze online. Das heißt, ein großer Teil der Customer Journey findet digital statt und lässt sich so einfacher digital nachverfolgen. Insgesamt versuchen wir, möglichst entlang der ganzen Customer Journey und dem gesamten Customer Lifecycle Daten zu sammeln. Damit uns das gut gelingt, nutzen wir eine Vielzahl datenproduzierender Punkte, also zum Beispiel Loyalty-Programme, Bewegungsdaten an digitalen Touchpoints, Kontakte mit dem Kundenservice und natürlich die Produkt- und Kaufhistorien. Ein wichtiges Zukunftsfeld ist das Internet of Things. Durch die Connectivity von Produkten lassen sich künftig ebenfalls eine Menge spannender Daten generieren. Generell versuchen wir, Unmengen von Daten zu sammeln, weil keiner weiß, was wir morgen brauchen. Aber tendenziell wird das eher mehr als weniger. Und ganz wichtig ist uns ein Mix aus quantitativer und qualitativer Datenerhebung. Quantitativ zeigt einem ja immer nur, was passiert, aber nicht warum. Deswegen veranstalten wir auch ganz viele User Labs im eigenen Hause.

80%
Der Umsätze von Rose Bikes werden online generiert

Ihr vermesst auch eure Kunden. Wozu?

Richtig. In den Stores erheben wir zum Teil Vermessungsdaten, um Kunden das richtige Produkt in der richtigen Größe anbieten zu können. Die Fahrräder werden zum Beispiel auch auf Basis der Körperdaten eingestellt. Wir haben auch einen Fußvermesser, um den besten Fahrradschuh empfehlen zu können. Den kann man im Laden ja nur schwer testen. Durch das Vermessen wissen wir aber, wenn jemand einen erhöhten Fußrücken hat, und können gezielter beraten. Diese Datenmehrwerte wollen wir peu à peu auch in eine Online-Experience überführen und so den Kunden den Schmerz nehmen zu entscheiden, welche Größe ihnen passt. Die Crux dabei sind die Produktdaten. Wir müssen ja nicht nur die Kundendaten haben, sondern auch wissen, was das Produkt kann.

Wo seht ihr in der Nutzung von Kundendaten Low Hanging Fruits? Was ist eher komplexer?

Ich glaube, eine Intelligenz, die für einzelne Use Cases im Kundenverhalten Muster erkennt, lässt sich innerhalb von ein paar Wochen realisieren. Das ist mit Hilfe bestehender Services nicht allzu komplex, bringt aber schon eine Menge. Wenn man beispielsweise richtige Größeninformationen gibt, entlastet man die Hotline spürbar. Ein anderer Use-Case ist die Frage, wann das Paket ankommt. Wozu muss da ein Hotline-Mitarbeiter in der Datenbank nachschauen? Die Information lässt sich auch automatisiert ausspielen – und der Service-Mitarbeiter kann sich mehr Zeit für einen Kunden nehmen, der mehr persönliche Beratung beim Bike-Kauf braucht. Für traditionelle Händler mit großem Offline-Anteil möchte ich einmal auf Manuel Ludvigsen-Diekmann von Shopmacher verweisen, der immer predigt: “Digitalisiert doch erst einmal die Informationen eurer Kassenbons, denn da gibt es viele Hinweise darauf, welche Artikel ein Kunde zusammen kauft. Und das übertragt ihr dann auf die Cross-Selling-Empfehlungen online.”

Ein wichtiger Punkt für den Erfolg ist aber, dass man ein datengetriebenes Arbeiten im Unternehmen erst einmal grundsätzlich etabliert, bevor man mit der Big-Data-Keule kommt. Die Customer-Intelligence-Abteilung darf nicht der Gatekeeper der Daten sein, denn dann wird man zum Bottleneck. Stattdessen müssen alle relevanten Mitarbeiter Zugriff auf Daten haben. Damit die nicht überfordert sind, arbeiten wir gerade an einer Self-Service-BI-Lösung mit individuellen Berichten, auf denen die wichtigen Informationen für die Mitarbeiter übersichtlich dargestellt sind. Zudem wird es für die Mitarbeiter Alerts geben, die sie zum Beispiel darauf hinweisen, dass sich gerade eine Kennzahl deutlich verändert. So werden wir sicherstellen, dass die Mitarbeiter mit den vorhandenen Daten auch arbeiten können.

Ein Riesenthema im Markt sind Data Scientists. Sie werden als neue Heilsbringer gefeiert, sind aber auf dem Markt schwer zu bekommen. Wie seht ihr das?

Wir suchen auch Data Scientists und haben auch Bewerbungen darauf. Zudem gibt es inzwischen Agenturen, die Data Scientists in die Unternehmen schicken, mit den Unternehmen Use Cases erstellen und nach und nach im selbständigen Umgang mit dem Thema schulen.

Wie verwertet ihr die Daten, die ihr sammelt?

In ganz vielen Bereichen. Wir personalisieren damit das Kundenerlebnis. Und wir nutzen es zum Marketing und zur Kundenbindung. Die bislang übliche Persona-Strategie ist viel zu grob. Die Leute verhalten sich eben nicht nur in sieben Grundmustern, sondern in vielen Bereichen total unterschiedlich. Auch zur Entwicklung neuer Features, zur Retourenvermeidung und zur Optimierung der Konversionsraten sind Kundendaten relevant. Ein ganz wichtiges Thema ist das Pricing. Wir verstehen uns als Preis-Leistungsführer und haben kanalübergreifend dieselben Preise. Da ist es extrem wichtig, datengetrieben arbeiten zu können.

Welche Pläne habt ihr für die Zukunft?

Aktuell tasten wir uns über kleine Use Cases in den großen Themen voran. Wie schon oben geschildert, wollen wir Mechanismen erst einmal manuell verstehen, dann mit einfachen Plug & Play-Lösungen erste Quick Wins nutzen und dann inhouse Kompetenzen aufbauen und die Lösungen groß machen. Unser Hauptaugenmerk in der Zukunft liegt darauf, Standardanalyseprozesse zu automatisieren und in Echtzeit in direkte Handlungen zu überführen. Das wird uns noch einmal einen riesigen Schritt nach vorne bringen.

Fazit

Wer datengetrieben arbeiten will, muss dafür als erstes unternehmensintern die Voraussetzungen schaffen und Mitarbeitern Zugang zu den für sie interessanten Daten gewähren. Danach gilt es, sich dem Thema Stück für Stück zu nähern. Wer dies mit kleinen Use Cases tut, stellt schnell fest: Auch Data Scientists kochen nur mit Wasser.

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