Werbewirtschaft: Was kommt nach dem Ende der Third-Party Cookies?
Mit dem nahenden Ende der Third-Party Cookies steht die Online-Werbebranche vor einer Zäsur. Welche Folgen das Cookie-Sterben für die personalisierte Werbung hat, ist noch völlig offen. Eine ähnlich übergreifende Lösung fehlt bislang.
Third-Party Cookies bald Geschichte – Google bringt den Stein ins Rollen
Die Bedeutung von Third-Party Cookies in der digitalen Werbung schrumpft zwar bereits seit längerer Zeit – Googles Ankündigung von Anfang 2020, die Unterstützung im hauseigenen Chrome-Browser innerhalb der nächsten zwei Jahre auslaufen zu lassen, stellt die Werbewirtschaft allerdings vor eine akute Herausforderung.
„Die Third-Party Cookies waren in den letzten 20 Jahren so etwas wie die digitale Identität in der Online-Werbewirtschaft“, erklärt Tobias Wegmann, CTO bei der PREX Programmatic Exchange. „Mit der Entscheidung von Google als größtem Player im Browsermarkt hat sich das Konzept jetzt allerdings tatsächlich überlebt und wird in absehbarer Zeit der Geschichte angehören.“
Für die Werbewirtschaft ergibt sich aus der aktuellen Entwicklung ein drängendes Zeitproblem. „Third Party Cookie Tracking verhalf vielen Unternehmen zum Steigflug – doch jetzt droht ihnen der Crash“, warnt Sven Bornemann, CEO der European netID Foundation.
„Die verschiedenen Maßnahmen, die das letztliche Aus der Third-Party Cookies besiegeln, werden stufenweise greifen. Ein Großteil des Onlinemarketings benötigt jetzt passende Alternativen. Ohne diese werden viele Geschäftsmodelle bereits in einem Jahr nicht mehr funktionieren.“
Welche Folgen hat die Abschaffung der Drittanbieter-Cookies für die Werbewirtschaft?
Darüber, in welche Richtung sich die Online-Werbung entwickeln wird und wie sich die Schwerpunkte in der Branche verschieben, herrscht bislang noch weitestgehend Unklarheit. „Im Markt ist derzeit eine große Verunsicherung zu spüren. Für zahlreiche Publisher, Advertiser und Agenturen ist es eine Zeit des Schulterblicks: Wie geht es jetzt weiter? Was machen die anderen? Muss ich jetzt aktiv werden, oder kann ich noch warten?“, beschreibt Bornemann die aktuelle Situation.
„Für alle Geschäftsmodelle, die Third-Party Cookies heute zwingend erfordern, stellt sich die Frage, in welcher Form sie in möglichen technischen Nachfolgern noch abbildbar sein werden. Wie beispielsweise das Retargeting in Zukunft funktioniert, wird sich erst im Laufe des Entwicklungsprozesses ergeben, da übergreifende technische Lösungen, die es dann geben wird, gerade erst entstehen und noch nicht ausdefiniert sind“, macht Wegmann in diesem Zusammenhang deutlich.
„Project Rearc“ & Co.: Alternativen zum Third-Party-Cookie händeringend gesucht
Wie lassen sich Nutzer zukünftig unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte, gesetzlicher Bestimmungen wie der DSGVO oder der geplanten E-Privacy-Verordnung identifizieren und tracken? Als Reaktion auf die aktuelle Entwicklung hat das Interactive Advertising Bureau (IAB) als internationaler Wirtschaftsverband der digitalen Werbebranche im Februar 2020 erstmals einen Plan vorgestellt, um auch weiterhin personalisierte Online-Werbung ausspielen zu können. Das auf dem jährlichen Verbandstreffen in Kalifornien vorgestellte „Project Rearc“ steckt allerdings noch in den Kinderschuhen.
„Mit dem ‚Project Rearc‘ verfolgt das IAB das Ziel, Standards zu definieren, die zu alternativen technischen Lösungen für Real-Time-Advertising führen“, betont Bornemann. Im Kern sollen nach den Vorstellungen des Verbandes browserübergreifende „Identifier“ als eine Art Nutzerkennung auf der Basis von E-Mail-Adressen oder Telefonnummern die Dritt-Anbieter-Cookies ersetzen und ein detailliertes Tracking ermöglichen.
„Derzeit dreht sich im ‚Project Rearc‘ noch vieles um eine Bestandsaufnahme der heutigen Geschäftsmodelle in Bezug auf die Auswirkungen durch das Verschwinden der Third-Party Cookies. Konkrete Lösungsvorschläge für einen neuen, datenschutzgerechten Identifikationsstandard in der Online-Werbung sind allerdings in naher Zukunft erst einmal nicht zu erwarten“, macht Wegmann deutlich.
In der Praxis erinnert die bisher vom IAB vorgestellte Ideenskizze eines einheitlichen Logins auf unterschiedlichen Webseiten stark an bereits bestehende Modelle von Login-Allianzen wie netID, die als zentrale Schnittstelle für die Anmeldung bei verschiedenen Diensten fungieren. Dass die Überlegungen des IAB in eine solche Richtung gehen, ist für Bornemann kein Zufall. „Mit netID verfügen wir bereits heute über einen datenschutzkonformen Login-Standard für den europaweiten Einsatz – eine Lösung, die den Nutzer auch cross-device adressieren kann und damit über das hinaus geht, was mit Cookies bislang möglich war“, so Bornemann.
„Privacy Sandbox von Google – Cookie-Ersatz vom Marktführer?
Einen anderen Weg auf der Suche nach passenden Cookie-Alternativen beschreitet Google mit der sogenannten „Privacy Sandbox“. Bereits im August 2019 hatte der Konzern eine Reihe von Vorschlägen für den Ausgleich zwischen Nutzern, Seitenbetreibern und Werbekunden veröffentlicht. Eine der zentralen Ideen hinter Googles „Privacy Sandbox“: Individuelle User-Informationen sollen im hauseigenen Chrome-Browser abgespeichert und für die weitere Nutzung aggregiert werden. Über eine Schnittstelle erhalten Adtech-Unternehmen im Anschluss einen eingeschränkten Zugriff auf die Nutzerdaten zu Werbezwecken. Dabei soll durch das Zurückhalten der individuellen Nutzerdaten und das Zusammenfassen von Nutzergruppen eine direkte Ansprache über die „Privacy Sandbox“-Schnittstelle nicht mehr möglich sein.
„Mit der ‚Privacy Sandbox‘ spielt Google natürlich mit seiner marktbeherrschenden Stellung – insofern kann das ‚Project Rearc‘ des IAB auch als Gegenentwurf für einen mehr kooperativen oder arbeitsteiligen Ansatz verstanden werden“, erläutert Wegmann.
Deutliche Kritik an den Plänen von Google äußert Adrian Berger, Senior Consultant bei der Digitalagentur hmmh: „In letzter Konsequenz geht es um einen Wettlauf zwischen Vielfalt und einem weltweiten Monopol in Sachen Usertracking. Allen voran Google mit Chrome will hier künftig selbst die alleinige Schnittstelle zwischen Daten, der Werbewirtschaft und dem E-Commerce sein. Mit Initiativen wie der ‚Privacy Sandbox‘, die über eine Schnittstelle nur beschränkten Zugriff auf Nutzerdaten bietet, ist eine individuelle Adressierung von Inhalten, Werbung und Produktinformationen kaum mehr oder nur erschwert möglich. Auch kann ein solches globales Monopol kaum im Interesse der E-Commerce-Branche sein.“
Stärkerer Fokus auf Contextual Targeting?
Eine weitere Option, Werbung ohne den Einsatz von Cookies zielgruppengerecht auszuspielen, bietet das Contextual Targeting. Im Unterschied zu anderen technischen Lösungen werden Werbemittel hier kontextbezogen über intelligente Algorithmen ausgesteuert. Anhand von zuvor festgelegten Keywords lassen sich Anzeigen beim semantischen Targeting gezielt in einem werberelevanten Umfeld platzieren.
Neben dem Verzicht auf das Speichern personenbezogener Daten bietet Contextual Targeting zudem den Vorteil, dass die Werbemittel genau dann ausgespielt werden, wenn sich ein Nutzer mit dem Thema beschäftigt, und schafft dadurch im Optimalfall einen Mehrwert durch Werbung. Bei der Frage, wie sich die digitale Werbebranche zukünftig aufstellen wird, trauen daher sowohl Bornemann als auch Wegmann dem Contextual Advertising in Zukunft eine stärkere Rolle zu.
Das Ende der Third-Party Cookies als Chance
Wohin die Werbewirtschaft nach dem Ende der Drittanbieter-Cookies steuert und welche technischen Lösungen die Post-Cookie-Ära prägen werden, ist bislang noch nicht ersichtlich. Eines ist allerdings klar: Viel Zeit bleibt der digitalen Werbebranche nicht mehr, um passende Antworten auf die komplexen Herausforderungen zu finden.
Sven Bornemann gibt sich in diesem Zusammenhang optimistisch: „Die aktuelle Entwicklung bietet der europäischen Werbewirtschaft auch die Chance, sich von den großen US-Playern im Markt ein Stück weit zu emanzipieren und die Abhängigkeiten zu reduzieren. Schließlich haben diese mit ihren Walled Gardens eigene Gesetzmäßigkeiten, die auch weiterhin gelten.“