E-Privacy-Verordnung: Viele Verlierer und ein Gewinner

Warum kaum jemand von der neuen Gesetzeslage profitieren würde, und was Unternehmen jetzt tun sollten.

E-Privacy-Verordnung: Viele Verlierer und ein Gewinner

Tracking-Cookies sind nicht beliebt: nicht bei Nutzern, die mit Popup-Blockern Werbung wegfiltern, nicht bei den Browserherstellern und schon gar nicht bei den Europapolitikern, die im Interesse eines verbesserten Datenschutzes den Nutzern die Wahl lassen wollen, ob sie ein solches identifizierendes Merkmal zulassen – im schlimmsten Fall individuell für jede Website. Die E-Privacy-Verordnung könnte im kommenden Jahr dazu führen, dass sich im Online-Marketing wichtige Spielregeln ändern.

Welchen finanziellen Schaden die neue E-Privacy-Verordnung anrichten würde, darüber kann quantitativ nur spekuliert werden. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) rechnet mit einem Schaden in Höhe von 500 Millionen Euro, der Onlinevermarkterkreis (OVK) beziffert ein Umsatzrisiko von mehr als 30 Prozent des digitalen Werbemarktes. „Falls die EU-Kommission eine E-Privacy-Verordnung in der aktuell diskutierten Fassung tatsächlich realisieren sollte, wird das dramatische Folgen für die globale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen haben“, warnt BVDW-Vizepräsident Thomas Duhr (IP Deutschland). Außerdem sei die inhaltliche Vielfalt bei den digitalen Angeboten „ernsthaft in Gefahr“.

 

Verlage verlieren die Hoheit über Premium-Werbung

Doch um zu verstehen, wem welche Schäden entstehen können, braucht es keine Zahlen, sondern eher grundsätzliche Betrachtungen. Da sind zunächst einmal die Online-Publisher, Verlage und Portalbetreiber, insbesondere jene, deren Geschäftsmodell auf der Auslieferung von zielgruppenspezifischer, personalisierter Werbung beruht. Sie würden ihre Werbung nicht mehr im gewohnten Umfang per Targeting monetarisiert bekommen und könnten aufgrund unvollständiger Daten nur noch erahnen, welche konkrete Reichweite sie erzielen. Realistisch seien um 40 bis 50 Prozent niedrigere Umsätze der Portale aufgrund geringerer Effizienz und einem niedrigeren Anteil an Premium-Werbeformen, rechnet der Inhaber einer großen Agenturgruppe vor. Das Geschäft mit Premium-Werbeformen würden nicht mehr die hiesigen Verlage selbst machen, weil die Werbetreibenden und ihre Mediaagenturen an sich schon mehr Geld bei den großen internationalen Playern lassen werden und weil sie selbst deren Dienste in höherem Maße in Anspruch nehmen müssten.

Die großen Netzwerke und geschlossenen Webplattformen wären die eigentlichen Kriegsgewinner oder Profiteure, namentlich Google, Facebook und im E-Commerce-Bereich auch Amazon. Sie haben nämlich das Privileg, dass die Nutzer hier eingeloggt sind – und der Nutzung und Auswertung von Tracking-Cookies zugestimmt haben. Das ist auch der Grund, warum in Deutschland einige von Onlinewerbung abhängige Unternehmen ihr Heil in Login-Allianzen wie Net-ID suchen. Denn serverbasierte, persistente Logins zur Speicherung von Nutzeridentitäten und Einwilligungen wären eine Alternative zu den pseudonymen Cookies.

 

Kreative Kampagnen in Gefahr

Ein Umdenken bedeutet das aber auch für Vermarkter und Unternehmen, denn auch denen kann es nicht gleichgültig sein, wohin sie ihr Geld ausgeben und über wen sie Werbung im Netz platzieren. Abgesehen von der von Thomas Duhr angemahnten Vielfalt in den deutschen Online-Medien, die den Verlagen und Onlinediensten das Finanzieren redaktioneller Inhalte erst ermöglicht, sind es gerade die einheimischen Agenturen und Publisher, die gemeinsam spannende Digitalkampagnen und kreative Lösungen entwickeln. Solche individuellen Absprachen, wie sie die hiesigen Publisher ermöglichen, sind mit einem großen Player, für den Deutschland nur ein Markt unter vielen ist, eher unwahrscheinlich.

Auch sind vor allem Markenartikler stark daran interessiert, dass ihre Markenbotschaften in hochwertigen redaktionellen Umfeldern als Display- und Mobile-Werbung ausgespielt werden. Doch gerade diese Displaykampagnen unter Berücksichtigung von Profildaten lassen sich in einem solchen System nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll abbilden. Die Folge wäre, dass man vermehrt mit gezielter Social-Media-Werbung arbeiten müsste, weil die sozialen Netzwerke besser als jeder andere über die Meinungen, Vorlieben und Befindlichkeiten ihrer Nutzer Bescheid wissen.

Und, last not least würde sich auch für den Leser das Erlebnis im Netz verschlechtern: Er würde nicht weniger Werbung sehen, aber vor allem solche, die nicht zu seinen Bedürfnissen passt, sondern wahllos ausgeliefert wird. Da die dann für alle Beteiligten nicht so wertvoll ist, würde er unterm Strich auch mehr Werbung sehen – und weniger hochwertigen Content, weil die Verlage, für die sich bereits heute die Monetarisierung ihres Digitalgeschäfts schwierig gestaltet, weniger Spielraum für gute Inhalte hätten. Alles in allem also eine Situation, von der (mit Ausnahme der großen amerikanischen Netzwerke) keiner profitieren würde.

 

Fazit: Langfristige Strategie ohne Cookies

Langfristig müssen sich aber alle Beteiligten darauf einstellen, dass eine solche Lösung kommen kann und auch die Browser-Hersteller immer mehr auf die Unterdrückung von Cookies setzen. Tun können sie das, indem sie Cookie-basierten Ansätzen so weit wie möglich den Rücken kehren oder im Fall der Verlage ihr Geschäft weiter auf Paywalls umstellen – eine Strategie, die für spitze Zielgruppen oder exklusive Inhalte funktioniert, nicht aber für auf Reichweite getrimmte große Medienmarken. Unternehmen und ihre Agenturen werden sich in Zukunft ebenfalls schwerer tun oder stärker auf die genannten US-Player setzen müssen. Eine Alternative wäre höchstens, Werbung nach anvisierter Zielgruppe anhand des Themas einer Website auszuspielen. Das kann allerdings aus heutiger Sicht nur eine Notlösung sein, weil die Auslieferung damit weniger differenziert und mit höheren Streuverlusten erfolgt.