Purpose Marketing: Mehr Haltung, bitte!

Globale Marken wie Nike oder Procter & Gamble haben es vorgemacht: Wird Haltung zur neuen Marketing-Disziplin?

Purpose Marketing: Mehr Haltung, bitte!

Als Proctor & Gamble im Januar das neue Werbevideo für seine Marke Gillette veröffentlichte, war die Resonanz viel größer und emotionaler, als es für einen Hersteller von Rasierklingen normalerweise der Fall ist. Sechs Wochen später hatte das YouTube-Video bereits knapp 30 Millionen Aufrufe und 417.000 Kommentare gesammelt.

Eine ähnliche Resonanz erzielte Nike im September 2018. Der Sportartikelhersteller warb dabei nicht etwa für ein neues Produkt, sondern zeigte lediglich den NFL-Star Colin Kaepernick, zusammen mit dem Satz: „Glaub an etwas. Auch wenn es bedeutet, alles zu opfern.“

 

Marken beziehen Stellung zu gesellschaftlichen Debatten

So unterschiedlich die beteiligten Marken auch sind, die beiden Kampagnen haben einen gemeinsamen Nenner: Sie transportieren eine Haltung und nehmen bewusst in Kauf, dass sie damit anecken. Gillette bezieht Stellung innerhalb der weltweiten Sexismus-Debatte, die infolge des Weinstein-Skandals über den Hashtag #MeToo geführt wurde. In dem Video werden Bilder von Männern und männlichen Jugendlichen gezeigt, die mobben, beleidigen, unterdrücken und prügeln. Dazu fragt eine Stimme „Ist das das Beste, was ein Mann bekommen kann?“ – eine Anlehnung an den eigenen Werbeclaim „Für das Beste im Mann“. Im zweiten Teil des Videos zeigt Procter & Gamble dann Haltung: Männer kümmern sich um ihre Kinder, verhindern Prügeleien und schlichten Streitfälle. Der Appell zum Schluss: „Es geht nur, indem wir uns selbst herausfordern, mehr zu tun, damit wir unserem Besten näherkommen.“

Eine ebenso klare wie richtige Botschaft, die aber nicht alle gut fanden. Bei YouTube hat das Video zwar ca. 775.000 Likes bekommen, aber knapp doppelt so viele negative Bewertungen. Die Kritik reicht von „Feministische Propaganda“ bis zu „Ungerechte Vorverurteilung“. Vor allem äußern Männer aber ihre Absicht, nie wieder Gillette-Produkte nutzen zu wollen.

Bei Nike war die Kontroverse absehbarer. Der offizielle Ausrüster der National Football League (NFL) wusste ganz genau, dass die Kampagne mit Colin Kaepernick große Diskussionen auslösen würde. Schließlich hatte Kaepernick seinen persönlichen Shitstorm bereits 2016 erlebt. Damals entschied er sich aus Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus bei der Hymne vor den Spielen seiner San Francisco 49ers zu knien, statt zu stehen: „Ich stehe nicht auf, um stolz auf eine Flagge für ein Land zu zeigen, das schwarze und farbige Menschen unterdrückt.“ Er wurde damit zum Auslöser der „Take a knee“-Bewegung, der sich bis zu 200 NFL-Spieler anschlossen, als US-Präsident Donald Trump offen den Rauswurf von Kaepernick forderte.

Die Nike-Kampagne wurde somit nicht nur zu einem Statement gegen Rassismus, sondern auch zu einem klaren Signal gegen Trump: Wer Nike trägt, positioniert sich gegen Trump. Das sorgte bei den Trump-Befürwortern für lautstarke Proteste und inszenierte Schuh-Verbrennungen.

 

Können Marken von Purpose Marketing profitieren?

In beiden Fällen kam es zunächst auch zu Boykottaufrufen, im Fall von Nike sogar von der National Association of Police Organizations, in der über 240.000 Polizisten organisiert sind. Auch Einzelhändler wie Stephen Martin aus Colorado Springs, inszenierten einen Boykott, in dem sie in ihren Sportgeschäften Nike-Artikel zum halben Preis verkauften. Geschadet hat es der Marke Nike nicht. Der Aktienkurs hat sich schnell erholt und stieg auf ein Rekordhoch. Und Stephen Martin musste sein Sportgeschäft sogar schließen.

Für eine weitreichende Analyse ist es bei Gillette noch etwas früh, aber dem Aktienkurs von Procter & Gamble hat die Gillette-Kampagne nicht geschadet. Auch intern betrachtet man den Gegenwind nicht als Marketingfehler, wie Marc Pritchard, CMO von P&G erklärte: „Wir haben erwartet, dass nicht jeder positiv reagiert, aber das ist es, worum es als Marktführer geht. Es war Zeit.“

Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die aktuelle Havas-Studie „Meaningful Brands“: Hier schafft Gillette es auf einen beachtlichen 7. Platz. In der Beschreibung der Studie heißt es:

„Buying today is a political act! 55% of consumers believe brands actually have a more important role than our governments to create a better future! Our findings show that consumers will reward brands who want to make the world a better place and who reflect their values. Consumers are using their buying power to make a stand! There’s no question – brand activism will become a part of a brand’s strategy.“

In die gleiche Kerbe schlägt auch das Edelman Trust Barometer:

„Whether people are shopping for soap or shoes, they’re weighing a brand’s principles as much as its products. Opting out of taking a stand is no longer an option for brands.“

Die Studie zeigt unter anderem, dass mittlerweile zwei Drittel der Konsumenten weltweit aus Überzeugung kaufen.

 

Fazit: Haltung wird eingefordert

Wenn die Kampagnen, über die am meisten gesprochen wird, diejenigen mit Haltung sind und wir aus Konsumentenbefragungen wissen, dass Verbraucher Marken bewusst nach deren Haltung zu politischen und gesellschaftlichen Themen auswählen, können wir das im Marketing einfach ignorieren? Wir könnten zwar, sollten es aber nicht. Der Grund ist ganz einfach: Je mehr Unternehmen auf Purpose Marketing setzen, umso schwieriger wird es für die Nachzügler sich zu positionieren und davon zu profitieren. Im schlimmsten Fall wird für Marken ohne aktive Positionierung vielleicht sogar eine Haltung angenommen, für die sie nicht stehen wollen.