Nostalgie-Marketing: Alles retro oder was?
Wer Retro als bloßen Trend abtut, greift zu kurz. Denn Retro wird niemals aus der Mode kommen. Wohl kaum eine andere Phrase steht für solch wohlige Emotionen wie: „Hach, damals ...“ Doch warum ist das so? Und wie kannst du das für deine Marke nutzen?

Wir können unseren Erinnerungen nur bedingt trauen
„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, heißt es bei Hermann Hesse. Das weiß auch die Forschung: Erste Male haben eine ganz besondere Wirkung! Wohl jede:r kann sich an den ersten Kuss, die erste eigene Wohnung oder das erste Auto erinnern. Weitaus schwieriger verhält es sich mit dem vierten Handy oder dem sechsten Urlaub. Hinzu kommt: Negative Erinnerungen werden eher verdrängt und Positives wird noch nostalgisch verklärt.
Retro-Marketing: Die Nostalgie für deine Brand clever nutzen
Es gibt eine Phase unseres Lebens, in der wir besonders viele solcher Momente erleben, die wir im Nachhinein als besonders erinnernswert erachten. Der Lebensabschnitt zwischen 10 und 30 Jahren ist geprägt von einer Vielzahl erster Male. Diese Phase wird als Erinnerungshügel oder Reminescence Bump bezeichnet: Unsere Erinnerungen an diese Zeit sind überrepräsentiert und tendenziell mit einer wohligen Nostalgie gefärbt.
„Erfolgreiche Marken verstehen es, diese emotionale Resonanz nostalgischer Elemente aufzugreifen und in neuartige, differenzierende Kund:innenerlebnisse zu überführen“, erklärt Kai Ebert, der stellvertretende Vorsitzende der Digitalagenturen im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Wenn die Sicherheit des Bekannten und die Faszination des Neuen verschmelzen, entstehen Markenerfahrungen, die emotional verankert und dennoch überraschend sind. „Diese Synthese schafft eine besondere Form der Kund:innenbindung“, sagt Ebert.
„Die bewusste Verbindung von Tradition und Innovation verleiht Marken eine besondere Form der Beständigkeit. Diese zeitlose Qualität macht Marken weniger anfällig für Wettbewerbsdruck und Marktveränderungen.“
Der Retro-Trend: Architektur, Kunst, Musik, Mode
Wann genau der Trend begann, kulturelle Stile aus anderen Zeiten zu kopieren, darüber streiten sich die Forscher:innen. Eindeutig ist jedoch, dass die bewusste Vermischung seit den 1970er-Jahren stetig zugenommen hat, was sich besonders in der Mode, der Musik und der Kunst nachvollziehen lässt.
Boomer, Millennials & Gen Z: Anders und doch gleich
Ganz egal ob Trenchcoat, Techno oder Trachtenkleid – mit dem Label „Vintage“ versehen, gilt es als ironisch-modern. Boomer, Millennials und die Angehörigen der Gen Z vereint die Sehnsucht nach Erinnerungen an die eigene Jugend. Daher ist es auch kein Wunder, dass gerade Künstler:innen und Designer:innen den Retro-Trend groß gemacht haben. Zeitlos sind diejenigen, die es schaffen, generationsübergreifend zu begeistern.
Und eines ist sicher: Auch junge Generationen werden alt und auch sie werden ihre erlebte Adoleszenz übertrieben feiern. Nostalgie wird nie aus der Mode kommen.
Nostalgie-Trend: Digital vs. analog
Der wohl wichtigste Trend innerhalb der Nostalgie-Welle lässt sich mit dem Oberbegriff „digital vs. analog“ zusammenfassen. Denn obwohl wir immer mehr Zeit vor Bildschirmen verbringen, ist die Sehnsucht nach nicht-digitalen Erlebnissen groß.
Die britische Sängerin Adele hat 2021 von ihrem Album „30“ mehr als 320.000 Stück auf Vinyl gepresst verkauft — Taylor Swift 2023 sogar insgesamt 23,5 Millionen Schallplatten.
Ein anderes Beispiel liefert die Fotografie: Hersteller analoger Filme, wie Kodak, die vor der Pleite standen, schreiben inzwischen wieder schwarze Zahlen. Und auch der Markt für physische Bücher ist trotz der wachsenden Konkurrenz durch digitale Produkte absolut stabil. Weltweit werden jedes Jahr gedruckte Bücher im Wert von etwa 64 Milliarden Euro verkauft.
Beispiele für gelungenes Retro-Marketing:
#1 Der trigema-Schimpanse Charly
Im Jahr 1992 veröffentlichte der Textilhersteller trigema einen Fernseh-Clip, in dem ein Affe als Nachrichtensprecher gekleidet mit Hemd, Krawatte und Brille für das Unternehmen aus Baden-Württemberg warb. Über die Jahre hinweg wurde der Spot immer wieder überarbeitet – doch der Affe Charly war eine Konstante im Markenauftritt. 2018 wurde eine digitalisierte Version veröffentlicht. 2025 soll es jedoch wieder mindestens zwei Werbefilme mit echtem Charly geben.
#2 Bob Ross und Photoshop: „No pressure. Just relax and watch it happen.“
In den 80er-Jahren pinselte sich der US-Amerikaner Bob Ross durch das Fernsehen und wurde mit seiner entspannten Art zum absoluten Retro-Star. Netflix veröffentlichte „The Joy of Painting“ im Jahr 2016 erneut und bewies, dass Bob Ross das Zeug zum zeitlosen Klassiker hat. Adobe sprang auf den Hype-Zug auf und veröffentlichte eine humorvolle Anleitung für die Creative Cloud im Stile des 1995 verstorbenen Künstlers.
#3 Uber Eats Wayne’s World
Im Rahmen des Superbowl LV veröffentlichte Uber Eats 2021 einen kreativen Retro-Clip mit Wayne Campbell und Garth Algar, den Helden der Kultkomödie Wayne’s World. Die beiden Hosts der selbst produzierten Fernsehshow aus einem Keller in Illinois erklären darin, vor allem lokale Restaurants unterstützen zu wollen. Ihr Versprechen: Wayne und Garth würden niemals ihr Publikum belügen, um plumpe Werbung zu machen.
Nostalgie-Marketing: Mehr als nur retro!
Nostalgie ist ein emotionales Kraftwerk. Wer es versteht, die Sehnsuchtsimpulse seiner Zielgruppe klug zu aktivieren, schafft echte Markenerlebnisse, die nicht nur berühren, sondern auch verbinden. In einer Welt voller Reizüberflutung bietet das Vertraute Halt und Orientierung – gleichzeitig weckt es Erinnerungen an eine Zeit, in der vieles noch „zum ersten Mal“ geschah. Nostalgie-Marketing trifft genau diesen Nerv und funktioniert deshalb generationenübergreifend – ob mit Schallplatten, alten Werbefiguren oder Popkultur-Referenzen. Wenn Marken in ihren Kampagnen die Vergangenheit kreativ mit der Gegenwart verknüpfen, sichern sich nicht nur die Aufmerksamkeit ihrer Zielgruppe, sondern auch deren emotionale Loyalität. Nostalgie ist eben keine Flucht in die Vergangenheit, sondern eine Brücke in die Zukunft.
