Ende des Innovationsstandorts Deutschland?
Die Zahl der Startup-Gründungen ging zuletzt deutlich zurück. Droht dem Innovationsstandort Deutschland das Aus?
Deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich: Innovativ, aber nicht innovativ genug
Wie steht es aktuell um Deutschland in Sachen Innovationsfähigkeit und -geschwindigkeit? Droht der Innovationsstandort Deutschland seit der Coronakrise abgehängt zu werden? Zumindest legen mehrere Studien nahe, dass Deutschland hier seinen Rang als einstiger Spitzenreiter womöglich einbüßen muss. So sind laut dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) die Ausgaben der deutschen Wirtschaft für Innovationen im Coronajahr 2020 deutlicher gesunken, als dies in den meisten anderen europäischen Ländern der Fall war. Im entscheidenden Bereich der Forschung und Entwicklung wurden ganze 6,3 Prozent weniger investiert als im Jahr zuvor, während die Ausgaben im gleichen Zeitraum in ganz Europa – mit Ausnahme Italiens – trotz Krise anstiegen.
Zwar nahmen die Investitionsausgaben für Forschung und Entwicklung im Jahr 2021 wieder deutlich zu, nämlich knapp 6 Prozent, doch damit konnte kaum das Vorkrisenniveau eingeholt werden.
Im Global Innovation Index 2022 der World Intellectual Property Organization (WIPO) landet der Innovationsstandort Deutschland im internationalen Vergleich auf dem achten Platz – abgehängt von den USA, Schweden, UK, den Niederlanden, Korea und Singapur sowie der Schweiz, welche in puncto Innovationsfähigkeit zum zwölften Mal in Folge den ersten Platz erreichte. Auch der Digitalisierungsindex steigt in Deutschland verhältnismäßig langsam an: laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln im Vergleich des Jahres 2021 zu 2022 nur von 107,9 auf 108,9 Punkte. Insbesondere in unternehmensinternen Bereichen wie den digitalen Arbeitsprozessen fiel die Zunahme mit nur 0,9 Punkten gering aus.
Next-Generation-Report: Startup-Gründungen auf dem Rückmarsch
Die sinkende Innovationskraft und die geringere Investitionsbereitschaft lassen sich vor allem auch an der abnehmenden Zahl der Startup-Gründungen in Deutschland ablesen. Wie aus dem im Januar 2023 veröffentlichten Report „Next Generation – Startup-Neugründungen 2022 in Deutschland“ vom Startup-Verband und dem Branchendienst startupdetector hervorgeht, wurden 2022 im Vergleich zum Vorjahr 18 Prozent weniger Startups gegründet. Während es 2021 insgesamt noch 3.196 Neugründungen waren, wurden in 2022 nur noch 2.618 verzeichnet. Der Rückgang betraf vornehmlich die ansonsten innovationsstarken Bundesländer Hamburg (–31Prozent), Baden-Württemberg sowie Berlin (beide –29Prozent). Berlin als Startup-Hochburg wurde zudem erstmals von München bei den Startup-Neugründungen überholt, wenngleich in Berlin nach wie vor die größeren Deals abgeschlossen werden.
Der Rückgang an Startup-Gründungen am Innovationsstandort Deutschland betrifft laut Next-Generation-Report besonders die Sektoren Software (–26 Prozent), Fintech (–28 Prozent) sowie E-Commerce (–39 Prozent), während die Bereiche Umwelttechnologie (+14 Prozent) sowie Blockchain- und Kryptotechnologie (+65 Prozent) ein Gründungsplus im Vergleich zum Jahr 2021 erzielen.
Warum wird weniger in Startups investiert?
Die Ursachen für den Gründungsrückgang im Bereich der Startups sind vielfältig: Krisen und Kriege, die allgemein schwächelnde Konjunktur, der Mangel an Fachkräften, die anhaltend hohe Inflationsrate und das steigende Zinsniveau wirken sich negativ auf die Investitionsbereitschaft aus. Investor*innen begegnen neuen und riskanten Geschäftsmodellen mit Zurückhaltung. So investierten Wagniskapitalgeber*innen im Jahr 2022 knapp 10 Milliarden Euro in Startups in Deutschland, während es im Vorjahr noch 43 Prozent mehr waren. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass das Investitionsniveau im Jahr 2021 in Startups mit 17,4 Milliarden Euro ein Rekordhoch erreichte.
Innovationsförderung vom BMWK
Wenngleich der Innovationsstandort Deutschland jüngst ein wenig an Strahlkraft eingebüßt hat, haben Jungunternehmen, die langfristige Wachstumschancen versprechen, nach wie vor gute Karten, ihre Finanzierung zu sichern und sich am Markt aufzustellen.
Im Jahr 2022 wurden beispielsweise rund 15 Prozent des Gesamtfinanzierungsvolumens in Startups mit Nachhaltigkeitsthemen investiert.
Überdies stehen von staatlicher Seite vielfältige Förderungsmöglichkeiten für innovative Geschäftsideen sowie Digitalisierungsstrategien speziell für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) parat. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat unterschiedliche Angebote zur Innovationsförderung in Deutschland im Programm. Dazu gehört beispielsweise der BMWK-Gutschein, der sich in erster Linie an KMU richtet und für Produkt- und Verfahrensinnovationen 50 Prozent der Ausgaben für externe Beratungen übernimmt. Das WIPANO-Programm („Wissens- und Technologietransfer durch Patente und Normen“) fördert die schnelle und zielgerichtete Verbreitung von Innovationen. Das Förderprogramm „go digital“ unterstützt mittelständische Unternehmen dabei, die Digitalisierung von Arbeitsprozessen und die interne Datenkompetenz voranzubringen.
Mit vielversprechenden Ideen durch die Krise kommen
Der Rückgang der Startup-Gründungen in Deutschland sowie die schwächelnde Investitionsbereitschaft in Forschung und Entwicklung zeigen zwar einen gewissen Abwärtstrend auf, was den Innovationsstandort Deutschland betrifft, letztlich sind sie aber Momentaufnahmen, in denen sich die vielen aktuellen Krisen widerspiegeln. Doch gerade in schwierigen Zeiten sind clevere Innovationen gefragt, die eine langfristige Perspektive angesichts komplexer Problemstellungen, etwa der Energiekrise, verlangen. Und das sind genau die Umstände, die insbesondere Jungunternehmen neue Chancen eröffnen, sich zu positionieren.
Top stories