Erlebnis schafft Erfolg: Online-Händler zeigen wie

In den Städten ist was los: Retail-Konzepte von Online-Händlern setzen auf feine Auslese, Haptik und Erleben.

Handel ganz neu: Onliner spielen mit Haptik und Erleben
© Casper Sleep GmbH

Kaum macht er auf, macht er schon wieder zu: Mit seinem Pop-up Store in Berlin will Amazon vom Weihnachtsgeschäft profitieren. Nur für fünf Tage bietet der Händler Ende November Geschenkideen feil. Das stimmungsvolle Ambiente am Kurfürstendamm soll zweierlei bewirken: die Kauflust stimulieren, danach den Blick ins Netz lenken. Dort wartet die Ware.

Stöbern offline, kaufen online: Auf dieses Tandem setzen immer mehr Online-Händler. Die E-Shops bieten zwar viele Vorteile. Zum Beispiel endlose Regale, mit allen Farben und Formen eines Produkts, die man sich vorstellen kann. Auch das Bestellen vom Bett aus bereitet vielen Freude. Doch eines kann das Geschäft im Netz nun mal nicht bieten: das Gefühl, wenn man ein Geschäft betritt. Die Produkte zu betasten, zu erleben. Mit allen Sinnen.

 

Erlebniswelten: Die große Show und anfassbare Produkte

Das hat Amazon mit seinem Kurzzeitladen vor. Auch wenn er Online dauerpräsent ist, will er einen weiteren Touchpoint in der Customer Journey schaffen. Geboten wird die große Show: Es kommen Starlets wie die Fitness-Influencerin Sophia Thiel, und es gibt Konzerte wie etwa mit Lionshead. Nebenbei wird Kasse gemacht: Die Kunden können – statt unendlicher Vielfalt – eine kleine Auswahl der verfügbaren Artikel in die Hand nehmen. Im Sortiment sind vor allem die Artikel der Cyber Week. Dabei kooperiert Amazon auch mit Herstellern wie Samsung oder L’Oreal. Bei Gefallen kann sie der User direkt über den QR-Code in der Amazon App einscannen und bestellen.

Auf Erlebniswelten ums Produkt setzt auch Casper. Der Matratzenhersteller hat in den USA und in Deutschland Geschäfte eröffnet. Zunächst mit den Partnern Target jenseits und KaDeWe diesseits des Ozeans: Als Store im Store-Konzept profitierte der Newbie im Bettenmarkt von der Reichweite der Kaufhäuser. Darüber machte er seine Matratzen bekannt. Diese tragen nette Namen wie Felix, Leo oder Emma – ebenfalls ein geschickter Kniff, um Nähe herzustellen. Über Pop-up-Stores hat der Händler zusätzliche physische Präsenz aufgebaut. Schritt für Schritt wurde so aus dem Online- auch ein Offline-Händler.

Sein erstes permanentes Geschäft hat Casper neulich in den Staaten eröffnet. Das Besondere: Der Laden bietet rund um sein – so gesehen recht langweiliges – Kernprodukt Matratzen eine Erlebniswelt an. Regelmäßig werden Events rund um Wellness und gesunden Schlaf veranstaltet. Der Bedarf ist da: Wie Studien belegen leiden immer mehr Menschen an Schlafstörungen, die auf Bewegungsmangel durch die Digitalisierung aber auch auf schlechte Schlafhygiene zurückzuführen sind.

So ein Service vor Ort bietet viele Vorteile: Er lehrt etwas rund ums Thema Schlafen, löst somit die Probleme von Kunden – was die Kundenbindung stärkt. Das wirkt sich nachweislich positiv auf die Kundenbindung aus.

 

Mehrwert durch Content

Die Pure Player haben eben einen Kniff verinnerlicht, was der traditionelle Handel erst wieder erkennen und schätzen lernen muss – um dann damit zu spielen: Haptik stellt Vertrauen her. Wenn man ein Produkt einmal angefasst hat und als gut befunden hat, ist der Weg zur Kasse nicht mehr weit. Mit ihren – meist – originären Produkten müssen die Händler auch nicht fürchten, dass der Konsument zur Konkurrenz abwandert, um den Artikel günstiger zu erwerben.

In die Preisoffensive gehen sie auch Offline. Wie Boll & Branch. Das Startup setzt auf Fair Trade und verwendet organische Materialien für ihre Bettwäsche. Ebenfalls ein Gut, das es – ähnlich den Matratzen – schon lange gibt. In New Jersey haben sie ihr erstes Geschäft in einem Shopping Center gelauncht, einer Destination für Luxusbrands. Trotzdem bieten sie ihre Produkte aber viel günstiger an als die der Konkurrenz. Eins zu Null.

Das Zwei zu Null erzielt Boll & Branch über Anfassen und Erleben der Produkte gegenüber der Web-Konkurrenz. Ihre Baumwolle kann angefasst, die verwendeten Garne liegen auf dem Tresen aus und können dort auf ihre Qualität hin geprüft werden. “Wer online verkauft hat nur die Möglichkeit Bilder zu zeigen und Dinge zu beschreiben, daran sind die Menschen auch gewöhnt”, sagt Co-Gründerin Missy Tannen. “Aber mit unserem Laden können wir ihnen mehr zeigen.” An den Wänden hat Tannen Bilder aufgehängt. Diese zeigen Mitarbeiter dabei, wie sie das Produkt fertigen. Mittlerweile erzählen viele Händler ihre Story auf den Websiten: Aber wer denkt daran, seine Geschichte im Laden, direkt am Point of Sale, zu erzählen?

Der Vorstoß in die Innenstädte ist sinnvoll: Laut einer Studie des EHI haben 57 Prozent der 1000 umsatzstärksten Online-Shops auch stationäre Läden. Dort wird immer noch das Gros des Umsatzes erwirtschaftet. So scheint auch das Konzept des ersten deutschen Amazon-Ladens aufzugehen. Im Kaufhaus Centro in Oberhausen bietet der Händler Produkte wie Alexa, Echo und Kindle an. Vor zwei Jahren als Pop-up-Store gestartet, ist er dort mittlerweile zur Dauereinrichtung geworden. Bleibt also abzuwarten, ob der Store am Kurfürstendamm tatsächlich nur fünf Tage lang geöffnet haben wird.

 

Fazit:

Die Etailer haben es begriffen: Die unbegrenzten Möglichkeiten in der großen weiten Online-Welt können leicht überfordern. Die meisten Menschen schätzen es nun einmal, wenn sie eine feine auserlesene Auswahl an Produkten serviert bekommen. Natürlich sind umgekehrt auch die angestammten Händler im Netz aktiv – doch hat die Herangehensweise der Onliner einen besonderen Charme: Ihr Mangel an Haptik hat ihnen erst gezeigt wie wichtig das Erleben im Laden ist. Da können sich manche Traditions-Händler eine Scheibe abschneiden.