Der große Earned-Paid-Gap – und warum das System zu kollabieren droht

LLMs pushen Zero-Clicks, Traffic bricht ein, Budgets wandern. Gleichzeitig entscheidet Earned Media über Sichtbarkeit in AI Overviews. Ohne neues Gleichgewicht zwischen Paid und Earned kippt das Mediasystem, kommentiert Verena Gründel.

Porträt von Verena Gründel
Bild: © Koelnmesse

Das Mediasystem steht vor einer tektonischen Verschiebung. KI verändert das Suchverhalten rapide – und Brands ziehen ihre Budgets um. Was folgt, ist eine Kettenreaktion, die das gesamte Marketing-Ökosystem destabilisieren könnte.

Die Kausalitätskette ist eindeutig: Immer mehr Konsument:innen suchen über LLMs. Die Zahl der Zero-Klick-Suchen schnellt nach oben. Klassischer Website-Traffic bricht ein.

Die Publisher trifft es bereits jetzt hart. Denn für sie ist jeder Klick bares Geld. Doch die Reichweiten sinken rasant. Als Reaktion wollen viele Brands ihre Display-Budgets 2026 um bis zu 30 Prozent kürzen, prognostiziert Forester.

Das große Problem dabei: Damit sägen sie genau den Ast ab, auf den sie sich retten wollen. Denn wer heute in den AI Overviews von ChatGPT, Gemini & Co. sichtbar sein will, braucht vor allem eins: organische, redaktionelle Erwähnungen auf vertrauenswürdigen Seiten. Earned Media wird zum entscheidenden Faktor.

Eine aktuelle Analyse von 75.000 Marken, durchgeführt von Ahrefs, zeigt: Web-Erwähnungen sind der mit Abstand stärkste Treiber für Sichtbarkeit in KI-Antworten. Marken mit hoher Erwähnungsfrequenz tauchen bis zu zehnmal häufiger in AI Overviews auf als andere.

Die Top-3-Korrelationen sind allesamt „off-site“ und im Grunde „earned“:

1. Brand Web Mentions
2. Brand Anchors (Erwähnungen des Markennamens in Hyperlink-Texten)
3. Brand Search Volume (monatliches Suchvolumen in Verbindung mit dem Markennamen)

Und jetzt wird’s paradox: Während Publisher ums Überleben kämpfen, verlagern viele Unternehmen ihre Budgets von Paid in Richtung PR – um mehr Earned Media zu erzeugen. Aber wenn niemand mehr zahlt, um Inhalte zu finanzieren – woher sollen dann all diese organischen Erwähnungen kommen?

Was kurzfristig schlau wirkt, ist langfristig selbstzerstörerisch. Ein ökonomisches Mediensystem, das sich ausschließlich auf Earned Media stützt, bricht zusammen.

Natürlich könnten neue Modelle entstehen: z. B. Advertorials, die von LLMs als neutral genug bewertet werden, um zitiert zu werden. Oder hybride Deals zwischen PR und Paid. Doch wie lange funktioniert das – ethisch, juristisch, wirtschaftlich?

Fest steht: Der Kampf um Earned Media wird härter. Schon jetzt tauchen 26 Prozent aller analysierten Marken gar nicht erst in den AI Overviews auf. Wer nicht oft genug genannt wird, existiert bald nicht mehr im AI-Gedächtnis.

Marken und Publisher müssen dringend an einem neuen Gleichgewicht arbeiten. Denn nach den aktuellen Spielregeln können beide nur gemeinsam überleben.

Allerdings: Diese Spielregeln können sich morgen schon wieder ändern.

Verpass keine wichtigen Neuigkeiten aus der digitalen Marketing-Welt, national und international! Abonniere den neuen DMEXCO Newsletter „Digital Digest“ und erhalte jeden Montag, Mittwoch und Freitag die aktuellen Infos direkt in dein Postfach.

Digital Digest NL_de