China: Handel und E-Commerce verschmelzen
Während hierzulande die Zukunft des Handels noch kontrovers diskutiert wird, ist man in China schon weiter.
Der Handel steht unter großem Druck. Der stationäre Einzelhandel verliert seit Jahren Umsätze und Marktanteile, nicht zuletzt an die Online-Konkurrenz. Doch die schwebt nicht etwa auf Wolke 7, sondern hat mit Amazon einen scheinbar übermächtigen Gegner vor der Brust, der sich bei den meisten Online-Kunden längst als Shopping-Startseite etabliert hat. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Abwärtsspirale lohnt sich für Online- und Offline-Handel ein Blick in den Osten, genauer: nach China.
Hier hat sich mit BATX (Baidu, Alibaba, Tencent und Xiaomi) ein Gegengewicht zur westlichen GAFA-Dominanz (Google, Apple, Facebook, Amazon) gebildet. Für den Handel ist dabei vor allem die Rolle von Alibaba interessant, dem Amazon-Pendant aus Hangzhou. Ähnlich wie Amazon-Gründer Jeff Bezos setzt auch Alibaba-Gründer Jack Ma seit dem Start 1999 auf eine aggressive Wachstumsstrategie, die konsequent auf den Kundennutzen ausgerichtet ist. Neben Alibaba.com (B2B-Handelsplattform) gibt es mit AliExpress eine B2C-Handelsplattform, mit Taobao ein Online-Auktionshaus und mit Tmall.com noch ein Online-Kaufhaus.
Der Supermarkt der Zukunft verbindet On- und Offline
Alibaba ist aber nicht nur im Digital-Business unterwegs, sondern sucht vermehrt nach neuen Märkten in der analogen Shoppingwelt. Ein ehrgeiziger Plan lautet beispielsweise: In fünf Jahren sollen 2.000 neue „Hema“-Supermärkte entstehen. Die ersten Stores wurden bereits 2016 eröffnet und zeigen ein völlig neues Einkaufserlebnis. Es stellt nicht nur den Kundennutzen in den Mittelpunkt, sondern verbindet kundenzentriert Online mit Offline.
Ausschlaggebend für die Entscheidung einer eigenen Supermarktkette dürfte die Erkenntnis gewesen sein, dass auch in China noch viele schnelldrehende“ Konsumgüter – Fast Moving Consumer Goods (FMCG) – im stationären Handel eingekauft werden. Zudem kommen die Online-Plattformen langsam an ihre Wachstumsgrenzen, so dass weitere Marktanteile leichter im Offline-Geschäft zu gewinnen sind. Doch streng genommen ist das Hema-Konzept gar kein Offline-Geschäft, denn ohne das Smartphone als logische Verbindung zur digitalen Welt und ohne den digitalen Checkout würde das Konzept nicht funktionieren. Mobile Shopping liegt bei den Chinesen voll im Trend und in Sachen Payment entwickelt sich China dank Alipay und WePay rasant in Richtung bargeldlose Gesellschaft. Und wer in einem Drei-Kilometer-Radius eines der aktuell 25 Hema-Märkten wohnt, kann sich seinen Einkauf kostenlos nach Hause liefern lassen – innerhalb von 30 Minuten.
Das Smartphone ist daher der Dreh- und Angelpunkt der Customer Experience von Hema, die sich von allen anderen chinesischen Supermärkten unterscheidet. Jedes Produkt lässt sich über die benutzerfreundliche Hema-App einscannen, die dann sämtliche Informationen anzeigt: Produktbeschreibung, Einzel- und Mengenpreise und verwandte, ergänzende Produkte. Selbst die genaue Zusammensetzung des Produkts und dessen Herkunft erfährt man so. Je öfter man bei Hema einkauft, desto besser lernt die App die Kaufgewohnheiten kennen und passt die Empfehlungen entsprechend an. Ist beispielsweise ein Produkt aus der Kaufhistorie zufällig im Angebot, bekommt der Kunde es angezeigt.
Gläserner Kunde? Warum nicht!
Der gläserne Kunde ist in China längst Realität. Während wir in Deutschland lange über Datenschutzaspekte diskutieren würden, hat Alibaba mit Hema eine moderne Einkaufswelt zum Experimentieren geschaffen. Die Alibaba Group arbeitet bereits an weiteren Verbindungen zwischen On- und Offline. Eine große Rolle wird dabei die Gesichtserkennung über Kameras in den Läden spielen. Sie analysieren genau, was sich die Kunden ansehen, was sie begeistert und was nicht. Diese Daten fließen in die Kundenprofile ein und sollen das zukünftige Einkaufserlebnis noch besser machen. Und dabei spielt es dann keine Rolle mehr, ob der Kunde einen Laden betritt oder lieber eine Online-Plattform benutzt.
Natürlich ist der Schutz persönlicher Daten ein sehr wichtiges Thema. Gerade bei der Gesichtserkennung und dem Anlegen umfangreicher Kundenprofile ist der Weg zum Missbrauch verführerisch kurz. Alibaba selbst sieht die Wahrung der Privatsphäre als selbstverständlich an und verliert kaum mehr Worte darüber. Das müssen sie auch gar nicht, denn selbst das staatlich geplante Sozialkreditsystem, das nach dem Vorbild von Alibaba entwickelt wurde, trifft in der Gesellschaft auf breite Zustimmung, wie eine aktuelle Studie der FU Berlin bestätigt.
Fazit: Hema in Deutschland?
Wäre das Hema-Konzept auch in Deutschland denkbar? Aktuell sicher nicht. Wir bezahlen noch zu gerne mit Bargeld und sehen unsere Privatsphäre (zu recht) als sehr hohes Gut an. Doch Programme wie Payback und die DeutschlandCard zeigen, dass Konsumenten durchaus Daten von sich preisgeben, wenn sie dafür einen Benefit erhalten. Wenn am Ende beide Seiten profitieren, der Datenschutz gewährleistet ist und der Betreiber sich konsequent in den Dienst seiner Kunden stellt, statt nur darauf zu reagieren, was die Konkurrenz so treibt, könnte das Hema-Konzept auch in Deutschland eine interessante Alternative sein. Bis dahin dürfte der Vorsprung von Alibaba weiter wachsen.
Top stories