Deinfluencing: Anti-Produktwerbung als Trend
Influencer:innen raten immer öfter auch mal vom Produktkauf ab. Was steckt hinter dieser Bewegung?
Influencer Marketing überschwemmt Social Media
Viele Brands und Unternehmen haben Influencer Marketing fest in ihre Marketing-Strategie integriert. Kein Wunder, schließlich werden große Influencer:innen von der Followerschaft für ihre Meinung geschätzt – zumeist sogar dann, wenn es um bezahlte Produktempfehlungen geht. Nicht selten entsteht um einzelne Produkte dann ein Hype, der die Verkaufszahlen in die Höhe schießen und das betreffende Produkt über Wochen und Monate ausverkauft sein lässt.
Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Influencer Marketing – oder auch Influencer Commerce – liegt hier vor allem in der Authentizität der Werbenden. Stellt der Lieblingsaccount rund um Nachhaltigkeit dem oder der User:in den neuesten veganen und fair produzierten Sneaker vor, findet diese Art der Werbung eher Anklang bei Käufer:innen als eine Kooperation des Turnschuhherstellers mit einer Billigfluglinie. Solch ein Wirbel um Produkte kann jedoch ebenso dazu führen, dass Follower:innen nur aufgrund des Aufsehens darum kaufen, ohne das Produkt wirklich zu brauchen.
In den letzten Monaten hat sich daher auf Social-Media-Plattformen ein neuer beliebter Trend etabliert: Unter dem Hashtag #Deinfluencing rezensieren Influencer:innen Produkte, deren Kauf sich ihrer Meinung nach nicht lohnt. Vor allem die Bereiche Beauty, Lifestyle, Food und Health sind betroffen von der Anti-Werbung, die bei den Follower:innen durchaus auf offene Ohren trifft.
#Deinfluencing: Abraten statt empfehlen
Gründe für den Erfolg von Deinfluencing-Beiträgen gibt es einige. Nutzer:innen-Feeds auf Social Media sind voll von Werbebeiträgen. Und wer mehreren Influencer:innen mit ähnlichen Interessen folgt, der wird mit recht großer Wahrscheinlichkeit auf mehreren Accounts Werbung für das gleiche Produkt sehen. Das Interesse, die Aufmerksamkeitsspanne und somit die Verweildauer der Follower:innen auf Posts und Accounts nimmt angesichts dessen zumeist ab.
Beiträge jedoch, in denen Influencer:innen Kritik üben und vom Kauf eines Artikels abraten, anstatt diesen anzuregen, fallen auf und bleiben eher im Gedächtnis. Auch wird die ehrliche Bewertung geschätzt, die Deinfluencer:innen teilen und begründen. Viele von ihnen stellen in ihren Posts zudem gleich eine, sogar meist günstigere Alternative zu demjenigen Produkt vor, welches im Beitrag kritisiert wird – schlecht für das Negativbeispiel, gut für das Alternativprodukt. Und ein weiterer Mehrwert für Follower:innen: Sie bekommen ein ähnliches, gutes Produkt für weniger Geld oder verzichten komplett auf den Kauf – in Zeiten von steigenden Kosten und Inflation ein wichtiger Aspekt.
723,6 Millionen Mal wurden Videos mit dem Hashtag #deinfluencing bis Anfang Juli 2023 auf TikTok aufgerufen.
Und auch die Deinfluencer:innen profitieren, und zwar von einer gesteigerten Loyalität der eigenen Community. Authentische Empfehlungen – oder Nicht-Empfehlungen – ohne Werbekooperation werden als ehrlich eingestuft und geben Follower:innen das Gefühl, dass den Opinion Leader:innen die Community wichtiger ist, als möglichst viel – meist einträgliche – Werbung zu machen.
Ehrliche Meinung oder Strategie?
Für gewerbsmäßige Influencer:innen kann Deinfluencing ein Geschäftsrisiko darstellen: Wer Marken kritisiert, macht sich für Unternehmen als potenzielle:r Werbepartner:in eventuell unattraktiv. Unternehmen wiederum mögen versucht sein, das Phänomen des Deinfluencing für ihr Marketing zu nutzen: Eine Kooperation könnte darauf abzielen, die Deinfluencer:innen das eigene Produkt als Alternativprodukt zu dem von ihnen kritisierten Produkt promote zu lassen. Doch Vorsicht! Ein gesponserter Beitrag muss als Werbeanzeige gekennzeichnet werden. Somit verfehlt eine solche bezahlte Kritik genau den Authentizitätsgedanken, den die Followerschaft so schätzt.
Letztlich steckt hinter dem Deinfluencing oft nicht nur die Selbstlosigkeit, die Community an der ehrlichen Meinung zu Produkten teilhaben zu lassen – für viele Influencer:innen zahlt Deinfluencing auf die eigene Marke ein, wenn sie zeigen, dass sie den Wert ihrer Followerschaft über den von Werbekooperationen stellen.
Brands hingegen sollten versuchen, positive Aspekte aus dem Deinfluencing zu nutzen: Ehrliches Feedback zu den eigenen Produkten bietet stets die Chance, Verbesserungen vorzunehmen – gewissermaßen eine Art kostenfreie Marktforschung. Daher ist es für Unternehmen wichtig, auf die Bewertungen ihres Produkts zu achten. Wenn sich kritische Anmerkungen wie ein schlechtes oder unpraktisches Produktdesign, unangenehme Formulierungen oder eine begrenzte Farbpalette häufen, können Marken daraus lernen und gegebenenfalls mit Änderungen entgegenwirken.