Meta und die Moralfrage: Droht der Exodus der Werbetreibenden?
Weniger Moderation, mehr Hate Speech: Meta steht in der Kritik. Doch wie entscheiden Marketer:innen zwischen Verantwortung und Wirtschaftlichkeit? DMEXCO Host Verena Gründel blickt auf die Realität, auf widersprüchliche Umfrageergebnisse und auf die Abhängigkeit von Facebook und Instagram.
Die Welle der Empörung
Mark Zuckerbergs Lockenkopf hat mich verfolgt. Nicht nur mich. Sicher hat er auch dich zigmal bedeutungsschwanger aus dem LinkedIn-Stream angestarrt und dir erklärt, warum es total sinnvoll ist, Fact Checking auf den Meta-Plattformen einzustellen und Moderations-Guidelines zu lockern.
Sein Lockenkopf ist das Erkennungszeichen der Empörungswelle, die durch die Branche schwappt. Schließlich müssen wir mit mehr Hate Speech und Falschinformation auf seinen Plattformen rechnen. Das ist nicht nur moralisch und gesellschaftlich problematisch. Facebook, Instagram und Threads werden aus Marketingsicht schlechtere Umfelder für Werbung. Können wir das noch unterstützen? Wollen wir das unterstützen? Oder akzeptieren wir die Plattform, wie sie ist?
Im Fall von Twitter, heute X, war die Antwort für viele klar. Als X Scharen von Moderator:innen der Plattform feuerte und die Regulierung der Community überließ, zogen sich große und kleine Werbungtreibende von der Plattform zurück.
Niemand war von X abhängig
Dem X-Besitzer und reichsten Mann der Welt scheint das nicht zu kümmern. Er ist auf ihr Geld nicht angewiesen. X ist sein Hobby. Aber viel wichtiger für einen Vergleich mit Meta: Auch umgekehrt ist kaum ein Werbungtreibender von X abhängig.
Das ist bei Facebook und Instagram anders. Ganze Industrien hängen von den beiden Plattformen ab, wenn nicht sogar die gesamte Weltwirtschaft. Deshalb ist die einfache Antwort auf die Frage, ob wir einen Exodus der Werbungtreibenden von Meta sehen werden: Nein, selbstverständlich nicht.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache
Eine exklusive aktuelle Umfrage der DMEXCO, durchgeführt von Civey, zeigt die Widersprüchlichkeit:
Einerseits: 54 Prozent der Marketeer:innen bestätigen, dass Unternehmen durch Media-Entscheidungen eine gesellschaftliche Verantwortung tragen.
Andererseits: Ganze 84 Prozent wollen ihre Investitionen in publizistische Qualitätsmedien nicht erhöhen.
Stattdessen unterstreicht die DMEXCO-Umfrage aus dem September 2024 die enorme Abhängigkeit von Social Media: 95 Prozent der befragten Unternehmen nutzen Social Media im Marketing. 74 Prozent wollen ihre Budgets weiter erhöhen.
Wir müssen realistisch sein
Social Media ist weltweit die größte Werbekategorie. Laut WARC beliefen sich die globalen Spendings im Jahr 2024 auf 247 Milliarden Dollar. Ein Plus von 14,3 Prozent. Erstmals mehr als die bis dahin dominierende Suchmaschinenwerbung.
Wir müssen hier also realistisch sein. Unternehmen werden sich niemals selbst die Werbekanäle abschneiden, von denen sie glauben, abhängig zu sein.
Zwischen Verantwortung und Bequemlichkeit
Ob sie wirklich abhängig sind, und ob nicht alternative Mediastrategien genauso wirkungsvoll sein könnten, lasse ich mal dahingestellt. Aber Social Media hat nun mal viele Vorteile: Es ist transparent, einfach, barrierearm, planbar, skalierbar, wirkungsvoll und begeistert die Massen.
Das wissen die Marketer:innen. Deshalb kamen die empörten LinkedIn-Stimmen bei genauerem Hinsehen selten von Werbungtreibenden. Die Mehrheit der Kommentare kam aus der Dienstleister:innenecke. Aber die haben leicht reden.
Abhängig und alternativlos?
Marketeer:innen dagegen stecken in einem Dilemma: Für sie bringt die neue Ära der Muskifizierung – neben der moralischen Komponente – Probleme mit Brand Safety und zunehmender Unberechenbarkeit mit sich. Jede Marke muss für sich die Balance zwischen ethischem Anspruch und wirtschaftlicher Notwendigkeit finden.
Doch wenn es hart auf hart kommt, ist klar, wie diese Entscheidung ausfallen wird. Da müssen wir nun mal realistisch sein.
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