Live-Chat im Webshop: Produktkompetenz trifft Rechtschreibkenntnisse

Während Live-Chats im Handel Standard geworden sind, setzen sich Video-Chats nur langsam durch. Der Grund ist trivial.

Live-Chat im Webshop: Produktkompetenz trifft Rechtschreibkenntnisse

Als der deutsche Elektronikhändler Saturn Im April 2019 ankündigte, künftig Online-Kunden auch per Video-Chat beraten zu wollen, war der Elektronikhändler – wieder einmal – eher spät dran. Die erste Welle von Online-Shops, die per Video-Chat die Beratung zu verbessern suchten, experimentierten bereits in den Jahren 2013/2014 mit dem Thema. So bot der britische Modeversender Asos Stilberatungen über Google Helpouts an. DocMorris beriet interaktiv zu Medikamenten und Butlers stattete Mitarbeiter mit Handkameras aus, um dem Online-Kunden Möbel in der Filiale individuell präsentieren zu können. Allen Versuchen gemein ist: Heute gibt es sie nicht mehr. Der Grund: zu geringes Kundeninteresse.

Kundeninteresse im Promillebereich

Auch bei Saturn ist die Response eher mau: Der deutsche Branchendienst Neuhandeln.de berichtet von “bis zu 200 Video-Anrufen pro Monat”. Bei knapp zehn Millionen Visits monatlich auf der Seite liegt der Anteil derer, die sich per Video beraten lassen, bei gerade einmal bei zwei Promille. Allerdings bietet Saturn in der Testphase Videoberatung nur für die Produktbereiche TV, Beamer und Haushaltsgroßgeräte sowie Computer, Laptops und Drucker von HP. Zudem ist der Video-Chat auch nicht immer verfügbar. Außerhalb der Geschäftszeiten und wenn die stationären Verkäufer auf der Fläche gefordert sind, wird die Beratungsoption online gar nicht angezeigt.

Sehen und gesehen werden? Video-Chat ist Vertrauenssache

Ein Grund, warum Kunden Video-Chats eher zögerlich nutzen, ist auf den ersten Blick amüsant, auf den zweiten nachvollziehbar. Denn viele Nutzer fürchten, dass die visuelle Kommunikation keine Einbahnstraße ist, also nicht nur sie den Berater sehen, sondern der Berater auch sie. Wer im Jogginganzug auf dem Sofa lümmelt oder im nicht aufgeräumten Schlafzimmer vor dem Rechner sitzt, hat Hemmungen. Zudem lässt sich während der Arbeitszeit schlecht heimlich einkaufen, wenn es aus dem Monitor laut vernehmlich spricht.

All das erklärt, warum Video-Chat noch nicht annähernd an den Erfolg des klassischen Live-Chats heranreicht. Mittlerweile gibt es kaum noch einen Webshop, bei dem nicht ein Chat-Fenster aufpoppt und sich ein Avatar vorstellt (“Hallo, mein Name ist Leonhard. Kann ich Ihnen behilflich sein?“).

Die Vorteile des Live-Chats: Unmittelbarkeit, Geschwindigkeit und Kosten

Der Live-Chat ist eine klassische Win-Win-Situation für Kunde und Händler. Verbraucher freuen sich über kompetente Beratung oder schnelle Antworten auf Servicefragen. Händler reduzieren ihre Kosten pro Kundenkontakt, weil sie anders als am Telefon mehrere Dialoge gleichzeitig führen können. Sie bekommen Kundenbedürfnisse aus erster Hand mit und führen ohne Medienbruch durch den Kaufprozess. Anschließend können sie Chats auswerten, um den Webshop, das Targeting und die Gesprächsführung noch besser auf die Kundenbedürfnisse zuzuschneiden. Und sie können steuern, wann und wo sie überhaupt eine Chat-Option einbinden möchten. Während eine Call-Center-Hotline für jeden Kunden verfügbar ist, kann sich ein Online-Chat beispielsweise nur auf die Kunden beschränken, die mit hoher Wahrscheinlichkeit kaufen werden. Oder auf die Seiten im Shop, die erfahrungsgemäß die höchsten Abbruchquoten haben. All das spart wertvolle Ressourcen.

“Knapp 90 % aller Verbraucher ziehen eine eher informelle, persönliche Beratung über Kanäle wie einen Live-Chat vor.”

HubSpot

Anbieter von Live-Chat-Lösungen berichten – naturgemäß – von grandiosen Ergebnissen. So meldet der Software-Anbieter Optimise-it, dass sich die Konversionsraten im Schnitt um fünf Prozent steigern und Abbruchquoten um 80 Prozent sinken lassen, wenn ein Kunde mit dem Händler gechattet hat. Darüber hinaus erhöhen sich bei geschicktem Cross-Selling die Warenkorbwerte um 18 Prozent. Und im Customer Care lassen sich Kundenprobleme mit einer 45 Prozent höheren Erstlösungsrate als bei E-Mail- oder Social-Media-Anfragen klären. Einfach deshalb, weil es sofort direktes Kundenfeedback gibt.

5%
mehr Konversationen
80%
weniger Abbrüche
45%
höhere Erstlösungsrate

Schnelligkeit ist die oberste Prämisse

Allerdings setzt ein erfolgreicher Live-Chat einige Dinge im Unternehmen voraus. Wichtig ist vor allem: Kunden wollen auf Antworten im Chat nicht lange warten. Während sie in der Warteschleife der Telefonhotline zähneknirschend auch eine Viertelstunde und mehr verbringen, klicken sich bei einem Live-Chat laut einer Studie von HubSpot 90 Prozent nach spätestens zehn Minuten weiter. Nicht jeder Call-Center-Mitarbeiter ist außerdem ein guter Live-Chatter. Wer nicht schnell tippen kann, nicht sicher in Grammatik und Rechtschreibung ist und sich nicht gern schriftlich ausdrückt, sollte lieber nicht in die Tasten hauen – auch wenn sich der Aufwand über vorgefertigte Textblöcke deutlich reduzieren lässt.

Keine Silos! Daten müssen zentral verfügbar sein

Wichtig ist, dass sämtliche Einzellösungen integriert und die Verfügbarkeit von Daten für Marketing, Vertrieb und Kundenservice zentralisiert werden. Und: Unternehmen sollten klein anfangen. Die Kommunikation über Live-Chats funktioniert nach anderen Regeln wie im Call-Center. Kapazitäten und Prozesse müssen unternehmensseitig so funktionieren, dass der Kunde das bekommt, was ein Live-Chat garantieren sollte: ein gutes Nutzererlebnis.

Fazit

Der Live-Chat als Kontaktmöglichkeit zum Händler ist im deutschen E-Commerce fast schon ein Standardelement. Eine große Hürde ist allerdings nach wie vor die Zentralisierung aller verfügbaren Kundeninformationen und -daten an einem Ort. Ein perfekt optimierter Live-Chat setzt also auch eine ganzheitliche CRM-Strategie voraus. Im Gegensatz zum schriftlichen Chat hat der Video-Chat seinen Durchbruch noch vor sich. Hier müssen Händler und Brands noch die Bedenken ihrer Kunden aus dem Weg räumen.