KI-Boom: Ist Europa noch im Rennen – oder schon abgehängt?

Eine DMEXCO Kolumne von Carsten Rasner, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW), über Europa im großen Rennen um KI.

Carsten Rasner in der DMEXCO Kolumne
Bild: © BVDW + Barbara Wagner

Europa im digitalen Rennen: Kooperation, KI-Anwendung und der europäische Weg

In einer Welt, in der Künstliche Intelligenz (KI) das nächste große Wirtschaftsrennen antreibt, stehen europäische Länder vor einer entscheidenden Frage: Investieren wir genug, um global wettbewerbsfähig zu bleiben? Die USA und China sind bereit, Milliarden in die Technologie zu pumpen. Das hat sich zuletzt bestätigt, als die private Wirtschaft in den USA 100 Milliarden Dollar investierte. 500 Milliarden sind für „Project Stargate“ geplant. Ob die Finanzierung dafür tatsächlich steht, hinterfragen wir an dieser Stelle nicht.

Vergleicht man die KI-Investitionen von 2013 bis 2022 allein aus dem privaten Sektor der USA (ca. 249 Mrd. USD) mit denen in Deutschland (ca. 7 Mrd. USD), so entspricht dies dem Verhältnis des Kaderwertes von Manchester City zu Hansa Rostock. Damit ist Deutschland dritte Liga – im Fußball und bei KI. Da wirken die 500 Millionen Euro, die das deutsche KI-Start-up Aleph Alpha jüngst kassierte, nicht nur mickrig – sie sind mickrig. Es stellt sich die Frage: Welchen Weg soll Europa einschlagen?

Wir erleben derzeit einen Future-Schock. KI ist allgegenwärtig und die Technologie verändert viele unserer Lebensbereiche fundamental. Aber wo steht Europa in puncto KI? Haben wir als Digitalstandort schon verloren oder gibt es noch eine Chance, die Welt der Zukunft mitzugestalten?

Kooperation als europäische Stärke fördern

In Europa ist der Markt stark fragmentiert, geprägt von nationalen Gesetzen und Vorschriften – aber auch von nationalen Kapitalmärkten. Zusammenarbeit und Finanzierungsmöglichkeiten sind jedoch essenziell für einen funktionierenden digitalen Binnenmarkt, der es Unternehmen ermöglicht, zu operieren und zu skalieren. Nur gemeinsam kann Europa den Big-Tech-Playern aus den USA, aus China und in Zukunft Middle East die Stirn bieten. Ein beispielhaftes Projekt ist das „Digital Europe Programme“, das in KI und Cybersicherheit investiert und so ein Innovationsnetzwerk schafft, das Ressourcen bündelt und Risiken verteilt. So entsteht ein Ökosystem, das Innovationen fördert und die Entwicklung von Hochtechnologien beschleunigt.

Dem ständigen Wandel durch KI-Innovationen begegnen

Künstliche Intelligenz stellt etablierte Standards, Technologien und somit sich selbst in kürzesten Zyklen infrage. Ein anschauliches Exempel hierfür ist das chinesische Start-up Deepseek, das durch sein grundlegendes, innovatives Design Modelle wie ChatGPT die Stirn bietet und übertrifft. Dies zeigt, dass selbst vermeintlich führende Technologien jederzeit durch neuere Innovationen abgelöst werden können. Die rasante Entwicklung in der KI-Branche erfordert eine ständige Bereitschaft zur Anpassung und Neuausrichtung, um im internationalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen zu geraten. Das Rennen um die KI-Vorherrschaft ist jedenfalls noch nicht vorbei.

Praktische KI-Anwendungen vorantreiben

Der Schlüssel zum Erfolg liegt aber nicht nur in der Entwicklung von großen Large Language Models, sondern auch in der praktischen Anwendung von KI. Am Ende kommt es nicht darauf an, wer die Technologie entwickelt hat, sondern wer sie am gewinnbringendsten einzusetzen weiß. KI basiert auf Grundlagentechnologie und Infrastruktur. Entscheidend wird aber sein: Wer schafft es, sich über Anwendungsinnovation langfristig zu positionieren? Die Geschichte ist noch nicht geschrieben.

Europas KI-Strategie: Einen europäischen Weg definieren

Europa hat die Chance, seine Positionierung zwischen den aktuellen Vorreitern Amerika und China zu finden. Dieser Weg kann sich auf innovative Anwendungen, aber insbesondere auch auf ethische Standards, Datenschutz und eine nachhaltige Entwicklung stützen. Kurz: auf eine KI, der Menschen, Staaten und Unternehmen vertrauen. Der europäische Weg sollte auch eine Regulierung umfassen, die nicht nur die Sicherheit der Bürger:innen und Unternehmen gewährleistet, sondern auch faire Wettbewerbsbedingungen schafft. Hier sind wir an einem Scheideweg. Den Traum vom KI-Anwendungsweltmeister können wir nur dann leben, wenn wir in Europa KI auch anwenden dürfen. Bereits heute sind viele KI-Technologien aufgrund von Regulierungshemmnissen in Europa nicht nutzbar. Das kann im Einzelfall Sinn machen. Es kann aber auch dauerhaft den KI-Standort Europa und damit unsere Wirtschaft schwächen.

Wir müssen zwei Fundamentalentscheidungen schnell treffen – sowohl auf wirtschaftspolitischer Ebene als auch in vielen Unternehmen: Wie nutzen wir KI innovativ und wertschöpfend als Wettbewerbsvorteil und folgen dabei gleichzeitig ethischen Prinzipien, die dem Gesamtwohl unserer Gesellschaft dienen? Dafür muss Europa seine Stärke in der nachhaltigen Technologieentwicklung nutzen, um neue Standards für umweltfreundliche und sozial verantwortliche Technologien zu setzen. Und wir sollten uns immer bewusst sein, welche vier Merkmale tatsächlich nachhaltige Wettbewerbsvorteile determinieren. Europäische KI-Anwendungen müssen für den Kunden wertvoll und schwer substituierbar und im Wettbewerb selten und schwer imitierbar sein. Dies gilt für alle Industrien und Technologien. Die Kriterien zeigen uns aber vor allem, wie herausfordernd diese Anstrengungen im KI-Zeitalter sein werden.

Europas KI-Zukunft gestalten

Europa steht in Bezug auf KI an der Schwelle zu einer entscheidenden Phase seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Durch eine stärkere Kooperation, gezielte Investitionen in anwendbare KI und die Förderung eines einzigartigen europäischen Modells kann Europa sich nicht nur im globalen Wettbewerb behaupten, sondern auch eine führende Rolle in der ethischen und nachhaltigen Nutzung neuer Technologien spielen. Es ist an der Zeit, diesen Weg einzuschlagen.

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