KI-Agenten übernehmen – und das offene Web steht vor dem Aus

Agenten greifen durch, Plattformen kassieren: Content ohne Gegenwert ist das falsche Signal, kommentiert Verena Gründel.

Porträt von Verena Gründel
Bild: © Koelnmesse

Ist das das Ende einer Ära? Das offene Web – einst als freier Raum für Wissen, Austausch und Kreativität gefeiert – droht zu verschwinden. Das zumindest sagt Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, und ich denke, wir sollten ihm zuhören.

Was früher der Ort für Entdeckungen war, wird heute zunehmend ersetzt durch geschlossene Plattformen: TikTok, Instagram, YouTube, ChatGPT. Informationen entstehen, zirkulieren und verschwinden innerhalb abgeschotteter Systeme.

Und während wir noch diskutieren, ob das gut oder schlecht ist, rollt bereits die nächste Welle heran, die den kleinen, noch freien Teil des Open Web fast komplett zu ersetzen droht: KI-Agenten.

Diese intelligenten Assistenten surfen nicht mehr im klassischen Sinne – sie handeln. Sie recherchieren, analysieren, kaufen ein, buchen Termine, treffen Entscheidungen. Und das oft, ohne dass wir selbst je eine Website zu Gesicht bekommen.

Berners-Lee erklärt es so: „Es entsteht ein Netz aus Daten, das von KIs erzeugt wird, von KIs genutzt wird – es wird auch von Menschen genutzt, aber vor allem von KIs.“

Das Web selbst wird also zur bloßen Infrastruktur – ein System, in dem Maschinen für Maschinen texten.

Tim Berners-Lee warnt davor, dass wir unsere digitale Souveränität aus der Hand geben. Seine Vision war eine andere – eine demokratische, offene Weblandschaft, in der Nutzer:innen Akteure sind, nicht nur Datenlieferanten.

Wie es weitergeht, weiß nicht mal er. Und ich natürlich auch nicht. Aber ich habe mir Gedanken über drei Mögliche Szenarien für eine von Agenten geprägte Zukunft des Internets gemacht. Ich bin gespannt, was ihr davon haltet.

Szenario 1: Plattform-Web (zentral)

KI-Agenten laufen ausschließlich auf Big-Tech-Plattformen und das offene Web stirbt leise. Die allermeisten Content-Anbieter können sich nicht mehr finanzieren. Nur wenige schließen Lizenzverträge mit Plattformen und dienen ihnen als Datenlieferanten. Content-Vielfalt ist Geschichte.

Was das für Marken bedeutet: Sichtbarkeit gibt’s nur gegen Geld – Paid Visibility ersetzt organische Reichweite.

Szenario 2: Agenten-Web (dezentral)

Persönliche KI-Agenten diverser Anbieter handeln im Sinne der Nutzer:innen, sie ziehen ihre Inhalte von Publishern aus dem freien Web. Finanziert wird das Modell über Paywalls, Freemium-Modelle oder Mikrotransaktionen zwischen den KI-Agenten und Publishern oder den Nutzern und den Publishern direkt. Nutzer können entscheiden, welche Publisher ihr Agent nutzen soll.

Was das für Marken bedeutet: Wer strukturiert, vertrauenswürdig und maschinenlesbar kommuniziert, bleibt relevant.

Szenario 3: Hybrides Web

Offenes Web und Plattformökosysteme koexistieren. Manche Agenten sind offen, andere proprietär. Einige Inhalte laufen über Plattformverträge, andere über offene LLM-Schnittstellen mit Attribution. Neue technische Standards könnten bestimmen, ob und wie KI-Agenten Inhalte crawlen dürfen – und zu welchen Konditionen. Publisher definieren also selbst, wer was wie nutzen darf.

Was das für Marken bedeutet: Doppelte Sichtbarkeitsstrategie nötig – optimiert für Plattform und offenem Web zugleich.

 

Das offene Web, wie wir es kannten, mag im Umbruch sein. Aber ob es verschwindet oder sich neu erfindet – das liegt auch an uns. Welches Szenario findest du am realistischsten?

 

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