Innovationen für das Kerngeschäft: Corporate Start-ups
So gestaltet die Otto Group ihre digitale Zukunft
Ein Unternehmen im Unternehmen. Oder auch mehrere. Um die interne Innovation voranzutreiben setzen immer mehr eingesessene Konzerne auf Corporate Start-ups. Mittlerweile betreiben heute 70 % der großen DAX-Konzerne eigene Acceleratoren für interne Start-ups. So auch die Otto Group. Mit ihrem Corporate Company Builder, der Otto Group Digital Solutions GmbH, hat sich der Unternehmensriese das Ziel gesetzt, neue Geschäftsmodelle im handelsnahen Dienstleistungsbereich aufzubauen und im Markt zu etablieren. Wir haben mit den beiden Geschäftsführern, Frauke Mispagel und Björn Schäfer über Erfahrungen, Herausforderungen und Prozesse gesprochen.
DMEXCO: Die Otto Group Digital Solutions (OGDS) ist vor etwas mehr als einem Jahr gestartet. Wie sind eure bisherigen Erfahrungen? Was hat funktioniert, was vielleicht nicht?
Björn: Wir glauben fest daran, dass die Fähigkeit, Daten zu erheben, aufzuarbeiten, zu analysieren und die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, in der heutigen Zeit besonders wichtig ist. Bei OGDS setzen alle Geschäftsmodelle auf dieser Kernkompetenz auf. Ob in den Bereichen der Betrugsprävention, des Online-Marketings, der Abverkaufsprognosen, der visuellen Bildsuche, des kundenzentrierten Mahnwesens oder der Performance-Marketing-Optimierung – alle Firmen der Otto Group Digital Solutions zeichnen sich durch „Data Passion“ aus. Hier liegt auch ein wesentlicher Erfolgsbaustein aller OGDS Konzepte: Wir wollen für unsere Kunden intelligentere und performantere datenbasierte Produkte bauen als unsere Marktbegleiter.
DMEXCO: Wie kann man sich den Prozess einer Start-up-Entstehung bei euch vorstellen? “Einer hat eine Idee, sucht sich das passende Team und stellt einen Antrag”?
Frauke: Am Anfang steht immer eine gute Idee. Hierfür identifizieren wir weltweite Trends und Veränderungen in unseren B2B-Märkten. Hierzu zählen die Bereiche E-Commerce, Fintech und Logistik – also alles, was die Wertschöpfungskette der Otto Group abdeckt. Zusätzlich nutzen wir unser eigenes Netzwerk zu Project A und eVentures, sowie das Knowhow aus dem Konzern. Wenn eine Idee zu unseren Kriterien passt, werden in einem Rapid Prototyping-Prozess neue Produkte und Lösungen aufgebaut. Dies ermöglicht uns, das Potential unserer Ideen sowohl auf Markt- als auch auf Produktseite sehr schnell und kosteneffizient zu prüfen. Assets wie das Wissen über Kunden, die Reichweite der Websites und die Logistik-Infrastruktur der Otto Group nutzen wir dabei als strategischen Hebel. In der Wachstumsphase folgt die Ausgründung und aus den Projekten werden Unternehmen. Auch hier werden die Schnittstellen mit der Otto Group genutzt, um Partnerschaften zu entwickeln. Außerdem werden die Start-ups Schritt für Schritt weiter ausgebaut, durch neue Produkt-Features erweitert, Sales-Strukturen ausgedehnt und KPIs etabliert. Die Start-ups werden dann weiterhin durch die OGDS gemanagt. Unser Ziel ist es, ein leistungsstarkes Portfolio an Unternehmen aufzubauen, das die digitale Zukunft der Otto Group mitgestaltet.
DMEXCO: Wer entscheidet, ob eine Idee das Potential zu einer Start-up-Gründung hat? Gibt es entscheidende Faktoren, die immer gegeben sein müssen?
Björn: Die erste Entscheidung dazu findet in der Ideation-Phase statt. Hier nutzen wir die klassischen Fragen, mit denen man ein Pitch Deck erstellt, also u.a. welches Problem wird gelöst, welche Marktpotenziale und Markteintrittsbarrieren gibt es, wie ist der Business Case, also wie sehen mögliche Erlösströme aus. Ein entscheidendes Kriterium für unsere Gründungen ist daneben die Nutzung eines „unfair advantages“ – also einen der oben erwähnten Assets aus der Otto Group, den wir strategisch hebeln können, um so schneller als der Markt zu sein. Hier sehen wir einen großen Wettbewerbsvorteil. Ein Beispiel hierfür ist unser Portfoliounternehmen Risk Ident, die eine Software für Betrugsprävention anbieten. Bei der Gründung konnten wir auf den Datenschatz aus der Group zugreifen und so die künstliche Intelligenz der Software anreichern. Ein externes Start-up hätte niemals Zugriff auf diese Millionen von Daten erhalten. Heute ist Risk Ident Marktführer in der DACH-Region. Im Rahmen unseres Build-Prozesses gibt es dann weitere Meilensteine wie den Bau eines Prototyps und danach ein MVP (Minimum Viable Product). Erst wenn sich hier unsere Hypothesen bestätigt haben, folgt in der Regel eine Ausgründung.
DMEXCO: In der Regel entstehen bei euch interne Start-ups, können sich auch externe Gründer bei euch bewerben, um von eurer Infrastruktur und euren Finanzierungsmöglichkeiten zu profitieren? Was müssen Bewerber mitbringen?
Frauke: Das stimmt, als Corporate Company Builder fokussieren wir uns auf den Aufbau eigener Ideen und investieren nicht wie ein klassischer VC in externe Start-ups. Hierfür haben wir mit Project A und eVentures andere Anlaufstellen in der Gruppe. Was wir jedoch nicht ausschließen sind Acqui-Hires, also der Zukauf ganzer Start-up Teams mit qualifizierten Mitarbeitern und einem Geschäftsmodell mit strategischem Fit. Die Gründer können dann als Venture Leads ihr Unternehmen bei uns weiter ausbauen und nutzen die finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten des Konzernumfelds, um neue Märkte und Zielgruppen zu erschließen. Generell sind wir immer auf der Suche nach potentiellen Venture Leads, die entweder eine Idee haben, die sie mitbringen – oder die Lust haben, eine unserer Ideen umzusetzen. Hierfür hilft es, wenn man sowohl Konzern- als auch Start-up-Erfahrung gesammelt hat. Denn beide Organisationsformen haben eine eigene Dynamik und es hilft, wenn man sich in beiden bewegen kann.
DMEXCO: Wenn bei euch regelmäßig neue Start-ups entstehen, seid ihr ja schon ziemlich geübt im Gründen. Gibt es bestimmte Prozessschritte, die sich jedes Mal als Herausforderung erweisen? Gibt es immer wiederkehrende Gründe, warum Start-ups scheitern?
Björn: Jede Phase in einem Start-up bringt Herausforderungen mit sich. Egal ob es die Ideenvalidierung, die Prototyp- oder die spätere Wachstumsphase ist. In jeder Phase hilft es, sich konkrete Ziele bzw. Meilensteine zu setzen, um über Erfolg und Misserfolg zu entscheiden. Viel hängt generell von der Bereitschaft ab, Produkte und Prozesse permanent weiterzuentwickeln. Dies geht nur mit einem tiefen Verständnis für die Herausforderungen der Kunden und mit einer Agilität und Kultur im eigenen Unternehmen, die wiederum ständige Verbesserungen ermöglichen. Externe Gründer haben oftmals anstrengende Finanzierungsrunden zu managen, während sie parallel noch das operative Geschäft aufbauen und steuern müssen. Bei unseren Unternehmen können sich die Gründer voll auf ihre Idee und das Wachstum konzentrieren.
DMEXCO: Werden Start-ups von eurer Mutterfirma betreut? Wie selbstständig sind die Unternehmen innerhalb eurer Gruppe?
Frauke: Nach der Ausgründung werden unsere Start-ups weiterhin durch uns unterstützt und gemanagt. Wir bilden für sie die Schnittstelle in den Konzern, so dass sie sich auf ihr Kerngeschäft fokussieren können. Zudem können wir ihnen Türen öffnen und sie profitieren von unserem Know-how.
DMEXCO: Ihr habt in eurer Funktion als Geschäftsführer bestimmt schon viele Gründerköpfe kennengelernt. Gibt es eine Eigenschaft, die alle gemeinsam haben? Und was meint ihr, sollten Gründer unbedingt mitbringen, um erfolgreich zu werden?
Frauke: Der Glaube an sich und die eigene Vision ist wichtig. Am Anfang besteht eine Idee ja nur auf dem Papier. Dafür sind Leidenschaft und Überzeugungsfähigkeit elementar. Dies gilt sowohl beim Kunden als auch bei den eigenen Mitarbeitern, die gewonnen, aber auch gebunden werden müssen.
Björn: Wie vorhin schon erwähnt, sind Neugierde und die Bereitschaft, sich permanent zu verbessern, eine weitere wichtige Eigenschaft von Gründern. Später ist es wichtig, dass Gründer in der Lage sind, loszulassen und abzugeben. Dafür braucht es Vertrauen in das eigene Team. Wer jeden Schritt bis zum Facebook-Post noch selber überprüfen will, betreibt Micro Management und verliert den Blick fürs große Ganze!