Growth Hacking für Start-ups: Von den Großen lernen
Dein Produkt performt nicht? Die Zahlen sind katastrophal? Es gibt keine Garantien, um dieses Szenario zu vermeiden. Aber eine Menge Möglichkeiten.
Hier kommt der US-Unternehmer Sean Ellis ins Spiel. Er war Marketing Manager bei einigen Start-ups im Silicon Valley, darunter LogMeIn und Uproar, und brachte unter anderem auch Dropbox auf die Erfolgsspur. Klassisches Marketing war ihm zu teuer und zu wenig auf Wachstum fokussiert. Seine Kernfrage: Wie kann man schnell Wachstum mit begrenzten Mitteln erzeugen? Seine Antwort: mit einer Kombination aus kreativem Marketing, intensiver Webanalyse und Prozessautomatisierung. Er begriff jeden einzelnen Berührungspunkt mit potentiellen Kunden als Kommunikationskanal, den es zu nutzen galt. Das Nutzerfeedback setzte er in seiner Prioritätenliste nach ganz oben. Für Ellis war es wichtig, gleich von den ersten Nutzern zu lernen, Rückmeldungen zu analysieren und davon das weitere Vorgehen abhängig zu machen. Er schuf dafür im Jahr 2010 den Begriff “Growth Hacking” und gründete die Plattform GrowthHackers.com.
Viele Disziplinen, kleine Schritte, kontinuierliche Analyse
Der aktuelle Slogan auf dieser Webseite lautet: “Growth is a team sport”. Die Botschaft: Growth-Hacking funktioniert nur mit einem Team, das unterschiedliche Kompetenzen wie Sales, Marketing, Produktentwicklung und Coding vereint. Ellis plante alles in schnellen, kleinen Schritten und experimentierte immer wieder aufs Neue. So lange, bis er erste Erfolge sah.
Growth Hacking, das ist fortwährendes Lernen und Anpassen, ein agiles Experimentieren an vielen verschiedenen Stellen und mit vielen unterschiedlichen Methoden, wie Wachstum am besten zu erreichen ist. Die Erfolge stellen sich langfristig ein. Es ist also – paradoxerweise – ein langer Weg zur schnellen Kundengewinnung. Ein Weg, der – entgegen der verbreiteten Annahme – auch Zeit und Geld kostet. Selbst Airbnb, Dropbox oder Facebook, die zu den erfolgreichsten Growth Hacking Beispielen zählen und scheinbar ungebremstes globales Wachstum vorweisen können, experimentierten zuvor lange. Die Gründer wurden nicht über Nacht zu Millionären, schlugen teils auch radikale Richtungswechsel (sog. Pivots) ein, um den Kunden gerecht zu werden.
Die permanente Suche nach Wachstumstreibern
Growth Hacker suchen ständig nach Ideen, die Wachstum bringen können. Neue Online-Marketing-Kampagnen auf Facebook, LinkedIn, Instagram oder Pinterest? Website-Optimierung? Andere Kundenansprache? Welche Tools kann man einsetzen? Wo liegen die Schwachstellen? Sobald eine Maßnahme eingeleitet ist, heißt die zentrale Frage: Wie reagieren die Nutzer? Wird die Idee angenommen? Wird die Idee nicht angenommen, einfach weitermachen. Oft führt nur eine von zehn Ideen zum Erfolg.
Eine wichtige Frage: Kann man die Methoden von Sean Ellis oder die anderer bekannter Growth Hacker einfach kopieren? Eins zu eins wird das sicher nicht funktionieren. Man kann aber aus ihrem Vorgehen lernen – um daraus den eigenen, individuellen Weg abzuleiten. Die erfolgreichen Growth Hacks basieren schließlich auf den zu der konkreten Zeit verfügbaren Möglichkeiten, die oft wenig vorher und kurz danach schon nicht mehr funktionieren. Gerade wer dazu Plattformen wie Google, Facebook, YouTube oder Instagram nutzt, ist darauf angewiesen, dass dort nicht gerade wieder Codes und Algorithmen geändert wurden.
So haben es die Großen der Branche geschafft
DROPBOX: Mehr Speicherplatz durch Empfehlungen. Anfänglich hat Dropbox mit bezahlten Ads experimentiert. Dann stellte sich heraus: Bei den Nutzern wurde der Speicherplatz knapp. Daraus entstand eine großartige Idee, die zu mehreren Millionen neuen Nutzern führte. Wer E-Mail-Empfehlungen an Freunde aussprach, bekam mehr Speicherplatz. Registrierten sich Freunde, profitierten sowohl der Einlader als auch der Eingeladene. Wer Dropbox mit Twitter und Facebook verknüpfte und dort Informationen über Dropbox teilte, bekam noch einmal zusätzlichen Speicherplatz. Auch das Teilen von Dateien und das Zusammenarbeiten in Ordnern wurde möglich – alles mit dem Ziel neue Nutzer zu gewinnen. Neue Nutzer akquirierten immer weitere neue Nutzer. Die ansprechende User Experience tat ihr Übriges. Dropbox ist ein Beispiel dafür, wie die schnelle Skalierbarkeit des Geschäftsmodells mit einfachen und kostengünstigen Mitteln gelingen kann.
AIRBNB: Craigslist-Cross-Posting. AirBnB vermittelt Privatunterkünfte in fast 200 Ländern. Fast überall können Menschen bei AirBnB nach günstigen Unterkünften suchen. Die Gründer profitierten natürlich vom Erfolg der Sharing Economy insgesamt. Aber am Anfang kämpften auch sie und wurden oft wegen ihrer mangelnden Erfahrung nicht ernst genommen. Die Wende kam mit Craigslist. AirBnB erkannte, dass Menschen, die eine alternative Unterkunft suchten, häufig bei Craigslist Ausschau hielten, einer Plattform, die im Gegensatz zu AirBnB bereits eine große Nutzerzahl hatte. AirBnB bot seinen Nutzern an, eine Kopie der Wohnungsanzeige auch auf Craigslist zu posten. Mit nur einem Klick konnten diese sie kopieren, mussten dann nur noch verifizieren und posten. Im Ergebnis bekam so AirBnB schnell Zugang zu einem großen Markt mit den angestrebten Nutzern. Ein ganz wesentlicher Wachstumstreiber der Vermittlungsplattform.
BOOKING.COM: Perfekte Beherrschung der Customer Desire Map. Auch wenn viele Leser jetzt mit den Augen rollen, wenn sie an die Methoden von booking.com – insbesondere das aggressive Email-Marketing – denken, so können Startups auch von derartigen Growth Hacks lernen. Booking.com tanzt hier etwas aus der Reihe, weil es dort nicht den einen Mega-Hack gibt, sondern viele einzelne Maßnahmen, die insgesamt zum Erfolg geführt haben. Das Unternehmen arbeitet sichtbar konstant und schnell an der Verbesserung der Customer Desire Map. Booking.com spielt vorbildlich mit den Hoffnungen und Träumen, Schmerzen und Ängsten der Kunden. Dazu zählen Dinge wie der deutliche Hinweis auf die kostenlose Stornierung oder darauf, dass fast ausverkauft ist, wie viele Nutzer sich das Angebot gerade ansehen und dass die Bewertung sowohl mit Sternen als auch mit “Daumen hoch” angegeben ist. Ein Blick auf die Webseite lohnt sich, um dort die Methoden zu analysieren. Start-ups können sich sicher einige Tricks abschauen, wenngleich natürlich auch hier gilt, dass „Copy & Paste“ selten zum Erfolg führt.
FACEBOOK: Kontakte einladen, E-Mails schicken. Facebook, als Studentenportal gestartet, das zunächst nur mit Studenten-E-Mail-Adresse zugänglich war, setzte zunächst sehr erfolgreich auf genau diese Exklusivität. Spätere erfolgreiche Growth Hacks waren unter anderem, dass Nutzer immer wieder dazu aufgefordert wurden, ihre Kontakte einzuladen und dass E-Mails an alle Nutzer gingen, die erwähnt oder getaggt wurden. Bis heute hat dieses Prinzip dazu geführt, dass mittlerweile zwei Milliarden Nutzer registriert sind.
INSTAGRAM: Alleinstellungsmerkmal des Konkurrenten übernehmen. Instagram, 2012 von Facebook gekauft, als es mit nur zwölf Mitarbeitern noch kein Ertragsmodell hatte, hat mittlerweile 800 Millionen Nutzer. Ein wichtiger Growth Hack: Bilder auf Instagram können automatisch auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken geteilt werden. Die Plattform wurde beständig weiter optimiert und immer mehr den Nutzerwünschen angepasst. Die User Experience stand und steht im Fokus. Dazu gehört, dass die Plattform extrem einfach zu nutzen ist. Besonders wichtiger Meilenstein: Die Instagram-Stories, die im April 2017 eingeführt wurden. Sie wurden zuvor nur in ähnlicher Form beim Konkurrenten Snapchat angeboten und waren dort sehr beliebt. Mit der Einführung verlor Snapchat sein Alleinstellungsmerkmal während Instagram die Nutzerbasis und -intensität deutlich ausgebaut hat.
HOTMAIL: Liebe für die E-Mail-Signatur. Der Vorreiter aller Growth Hacks ist Hotmail. Hotmail kreierte bereits in den 90er Jahren eine Signatur am Ende jeder Mail, so dass jede versendete E-Mail die Empfänger dazu einlud Hotmail beizutreten: „PS: I love you. Get your free e-mail at Hotmail.“ Das war lange bevor Sean Ellis den Begriff Growth Hacking schuf. In der Rekordzeit von 18 Monaten wurden so zwölf Millionen Nutzer (oder etwa 20 Prozent des damaligen E-Mail-Marktes) erzeugt. Was Start-ups noch heute davon lernen können? Ganz simpel: Unterschätzt die Macht guter E-Mail-Signaturen nicht.
Die Liste besonders erfolgreicher Growth Hacks ließe sich noch lange fortführen. So verfiel zum Beispiel Twitter auf die Idee, Tweets bei Events und Sendungen einzublenden und Hashtags einzuführen, oder Spotify, dass Millionen kostenlos verfügbarer Musiktitel legal mit Freunden geteilt werden konnten, oder YouTube – zunächst als Dating-Portal vorgesehen, das mit dem Embed Code einen technischen Growth Hack hervorbrachte.
Fazit:
Start-ups können auch ohne klassische Werbekampagne und Multimillionen-Budget bekannt werden. Growth Hacking ist die smartere, aber nicht die bequemere Alternative. Sie basiert auf der kontinuierlichen Analyse von Nutzerwünschen und der Fähigkeit, die eigene Strategie zu hinterfragen, um attraktivere Produkte anzubieten. Mehr als ein US-Digitalkonzern ist auf diese Weise groß geworden.