KI im Pharmavertrieb: Erfolgsfaktor für die nächste Vertriebsära

Eine DMEXCO Kolumne von Thilo Kölzer, COO DocCheck AG, über die Vorteile und Einsatzmöglichkeiten von KI im Pharmavertrieb.

KI im Pharmavertrieb: Abstrakte Darstellung einer Tastatur mit KI-Knopf
Bild: © textbest / Canva Pro

Rezeptpflicht für Relevanz – KI als Wirkstoff im Pharmavertrieb

Der Außendienst ist das Gesicht der Pharmaindustrie. Nichts ersetzt den persönlichen Kontakt zwischen Healthcare Professionals (HCPs) und Außendienstmitarbeitenden. Und doch: Die Realität ist, dass dieser Kontakt heute unter enormem Druck steht – Zeitmangel bei Ärzt:innen, steigender Wettbewerb um Aufmerksamkeit, wachsende regulatorische Anforderungen und der Übergang zu hybriden Kommunikationsmodellen –, nicht zu vergessen die laufende Disruption durch Künstliche Intelligenz (KI). Diese Disruption kann sich der Außendienst jetzt zunutze machen – und damit seinen ganz eigenen Booster finden.

Richtig eingesetzt, sorgt KI in der Pharmaindustrie für mehr Relevanz, bessere Vorbereitung und passgenaue Interaktion. Statt „One size fits all“ heißt es: „One rep fits one customer at a time“.

Von der Gießkanne zur Präzisionsarbeit

Die klassische Außendienstlogik sieht oft vor, dass eine einheitliche Kernbotschaft an eine möglichst große Zielgruppe ausgespielt wird. Natürlich gibt es Segmentierungen – Fachrichtung, Verordnungsverhalten, Kommunikationstypen, regionale Besonderheiten –, aber diese bleiben oft grob. KI bricht nun diese Logik auf: Sie kann aus CRM-Daten, Verordnungsanalysen, Kongressaktivitäten, Publikationslisten, Social-Media-Präsenz und sogar anonymisierten Patientendaten echte Mikrosegmente bilden.

Beispiel: Zwei Kardiolog:innen in derselben Stadt behandeln die gleiche Indikation, unterscheiden sich aber in Therapiepräferenz, Publikationsaktivität und Offenheit für neue Wirkprinzipien. Die KI erkennt diese Unterschiede – und liefert dem Außendienst maßgeschneiderte Argumentationslinien und Materialien.

Echtzeit-Intelligenz im Gespräch

KI kann nicht nur vor dem Besuch glänzen, sondern auch währenddessen. Stellen wir uns vor: Die Außendienstmitarbeiterin spricht mit einer Onkologin, die unerwartet eine kritische Publikation erwähnt. Der KI-gestützte eDetailer zieht in Sekunden die wichtigsten Kernaussagen aus der Studie, passt die Präsentation live an und bietet direkt weiterführende Materialien an. Das bedeutet nicht, dass der Außendienst passiv „abliest“ – im Gegenteil: Die KI liefert Optionen, und der Mensch setzt sie empathisch, situativ und konform ein.

After-Sales wird zur Beziehungsarbeit

Ein oft unterschätzter Teil der Arbeit: Nachbereitung. Hier entlastet KI massiv. Sie analysiert Gesprächsnotizen, gleicht sie mit den Interessen des HCP ab und schlägt nächste Touchpoints vor – ob per E-Mail, Webinar-Einladung oder Follow-up-Material. Und das nicht nach Bauchgefühl, sondern datenbasiert: Wer reagiert eher auf CME-Module? Wer bevorzugt wissenschaftliche Whitepaper? Wer klickt auf kurze Erklärvideos? Wer schnappt nach kurzen Content-Happen? Die KI analysiert es – und lernt mit jedem Kontakt dazu.

Agentic AI: Außendienst mit Co-Pilot

Der nächste Evolutionsschritt sind autonome KI-Agenten, die im Hintergrund für den Außendienst arbeiten. Diese Agenten planen Besuchsrouten optimiert nach Relevanz, Anfahrtswegen und potenzieller Wirkung. Sie können außerdem personalisierte Gesprächsleitfäden für jeden einzelnen HCP erstellen und erzeugen passendes Begleitmaterial für On- und Offline-Kanäle.

So wird der Außendienst entlastet, um sich auf den hochwertigsten Teil der Arbeit zu konzentrieren: den persönlichen und glaubwürdigen Dialog.

KI als persönlicher Trainer – Lernen on the Road

Neben der direkten Vertriebsunterstützung eröffnet KI ein bisher unterschätztes Feld: kontinuierliches Training und situatives Lernen. Früher bedeutete Außendienstschulung meist zentrale Seminare, PowerPoint-Marathons, dicke Produktordner und bestenfalls eine E-Book-Bibliothek. Heute kann KI personalisierte Lernmodule ausspielen, die exakt auf die einzelnen Mitarbeiter:innen zugeschnitten sind. Das Beste daran: Diese Trainings müssen nicht im Konferenzraum stattfinden. Auf dem Weg zum nächsten Kundentermin kann der Außendienst beispielsweise Gesprächssimulationen mit einer KI durchspielen, die realistisch auf Einwände, Fragen oder Skepsis reagiert.

Auch kurze Podcasts, die über neue Studien, Zulassungs- oder Leitlinienänderungen informieren, sind natürlich denkbar und werden bald zum neuen Goldstandard der internen Kommunikation gehören. Dadurch wird die Fahrtzeit nicht zur toten Zeit, sondern zu einer hochwertigen Vorbereitungsphase. Die KI kann sogar simulieren, wie der kommende Dialog verlaufen könnte, und Vorschläge geben, welche Argumente in welcher Reihenfolge am besten wirken. Im Ergebnis entsteht ein Außendienst, der nicht nur besser informiert, sondern auch flexibler und souveräner auftritt – egal, wie überraschend sich ein Gespräch entwickelt.

Compliance bleibt Chefsache – auch für KI

Gerade im Pharmavertrieb ist die Einhaltung regulatorischer Vorgaben (HWG, Datenschutz, Compliance-Vorgaben) unverzichtbar. Die KI muss also in einem geschützten Framework agieren:

Inhalte werden vorab validiert und sensible Daten bleiben in geschlossenen, sicheren Systemen. Nur so lassen sich die Potenziale nutzen, ohne ins Risiko zu laufen.

Vom Push- zum Pull-Modell

Vielleicht der spannendste Wandel: Mit KI kann der Außendienst vom reinen Botschaftsträger zum Orchestrator von Informationsbedarfen werden. Das heißt: Ärzt:innen ziehen sich Inhalte proaktiv aus einer von der KI kuratierten Mediathek, die auf ihre Interessen zugeschnitten ist. Der Außendienst sorgt dafür, dass diese Inhalte gefunden, verstanden und eingeordnet werden – ein Rollenwechsel vom „Verkäufer“ zum „Wissensnavigator“.

Fazit: KI im Pharmavertrieb: Der digitale Co-Pilot für den Außendienst

KI im Pharmavertrieb ist keine Zukunftsvision mehr – sie ist jetzt einsatzbereit. Wer sie nicht als Bedrohung, sondern als Verstärker der eigenen Kompetenzen versteht, wird aus Außendienstteams echte High-Impact-Squads machen. Der Schlüssel liegt darin, Technologie und Mensch optimal zu verbinden – und die Stärken beider zu nutzen.

Meine Take-aways für den Einsatz von KI im Außendienst:

✓ Mikrosegmentierung nutzen: Zielgruppen deutlich feiner aufteilen und möglichst individuell adressieren
✓ Echtzeit als Stärke: Live-Recherche und Präsentationsanpassung im Gespräch
✓ Follow-up automatisieren: KI-generierte Touchpoints basierend auf Gesprächsdaten
✓ Agentic AI einsetzen: Autonome Co-Piloten für Planung, Materialerstellung und Orchestrierung
✓ Training on Demand: Gesprächssimulationen, Lernhäppchen und Briefings jederzeit verfügbar
✓ Compliance-by-Design: Regulatorische Vorgaben direkt in KI-Workflows integrieren
✓ Pull-Content etablieren: Ärzt:innen als aktive Konsument:innen relevanter Inhalte gewinnen

 

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