65 Jahre TV-Werbung in Deutschland – Zeit für den Ruhestand oder fit für die Zukunft?
1956 lief in Deutschland erstmals ein TV-Spot im Fernsehen. Das war der Startschuss für die goldenen Jahre der TV-Werbung. Wir haben uns die Gegenwart und die Zukunft der Fernseh-Werbung angeschaut. Spoiler: Totgeglaubte leben länger.
Fernsehwerbung: Der Liebling der Werbebranche
Beim Essen in einem Restaurant kleckert der bayrische Komiker Beppo Brem auf die Tischdecke. Seine Begleitung, Liesl Karlstadt, schämt sich für den Fauxpas, doch der Kellner muntert sie auf und sagt: „Dafür gibt es doch Gott sei Dank Persil.“ Ausgestrahlt in Schwarz-Weiß auf dem Bayerischen Rundfunk wurde mit diesem Spot eine Ära eingeläutet: die der TV-Commercials in Deutschland.
„Dafür gibt es doch Gott sei Dank Persil“.
Fernsehen entwickelte sich zum absoluten Liebling für Werbende. Es war die sicherste Form, viele Leute gleichzeitig zu erreichen und außerdem entwickelten sich universelle Benchmarks wie Kosten für Produktion und Sende-Zeiten, die auf verschiedenen Märkten anwendbar waren. Fernsehen lieferte zuverlässig konstant hohe ROIs, mit einem wesentlich höheren Wirkungsgrad gegenüber allen anderen Medien. Der Siegeszug der Fernsehwerbung endete erst mit dem Aufstieg des Internets. Im Jahr 2018 war es erstmals so weit: Die Ausgaben für Internetwerbung überstiegen die des linearen TVs.
Vom linearen zum personalisierten TV: Was bedeutet das für TV-Commercials
Mit dem Aufstieg des Internets entwickelten sich zahlreiche neue Prinzipien, die in unmittelbare Konkurrenz zum Fernsehen traten. Die Video-Plattform YouTube zeigte schon 2006 das Potenzial von Videos im Internet, die on Demand jederzeit abrufbar sind. Darüber hinaus haben sich neue Formate entwickelt, die eindeutige Vorteile gegenüber dem konventionellen Fernsehen bieten: Streamingdienste wie Netflix, Disney +, Amazon Fire TV Stick, Apple TV und Google Chromecast.
Es sind vor allem die jungen Leute, die sich immer weniger vom klassischen Fernsehen angesprochen fühlen. Kinder schauen weniger TV, konsumieren jedoch parallel Angebote im Internet. In Deutschland hat die Sehdauer von Kindern (10 bis 13 Jahre) in den letzten Jahren stark abgenommen. Die gleiche, jedoch weniger signifikante Tendenz lässt sich bei den Altersgruppen der 14- bis 29-Jährigen nachvollziehen, sogar schließlich noch in geminderter Form bei den 30- bis 49-Jährigen. Relativ stabil sind die Zahlen nur bei den über 50-Jährigen. (Langzeitstudie ARD.)
TV-Werbung und Streaming-Plattformen
Die kostenpflichtigen Streaming-Plattformen finanzieren sich über Abo-Systeme. Das bedeutet aber nicht, dass Werbung auf ihnen keine Rolle spielt. Netflix verzichtet derzeit noch auf Werbung, dafür sind jedoch eine Vielzahl von Serien mit Produktplatzierungen ausgestattet. Dieser Prozess ist für Werber langfristig und im Vergleich zur konventionellen TV-Werbung wesentlich schwerfälliger, da ja bereits in eine Produktion investiert werden muss.
Allerdings drängen auch immer weitere Streamingdienste auf den Markt, die auf Werbung setzen und mitunter auch kostenfrei sind. Eine Umfrage von Criteo zeigt zudem, dass die Mehrheit der Deutschen diese Werbung akzeptieren würde, um Kosten zu sparen. Aktuell nutzen die Konsument:innen wöchentlich etwa fünf Stunden Streaming-Content, Tendenz steigend. Beispiele für kostenfreie Streaming-Plattformen sind: YouTube, Joyn, Facebook Watch.
TV-Werbung mit Connected TV
Jedes Empfangsgerät, das mit dem Internet verbunden und über das sich somit Streaming Content empfangen lässt, wird als CTV oder Connected TV bezeichnet. Ob Smart TVs, Internet TV-Geräte, Spielkonsolen oder Set-Top Boxen: Sie alle können Daten empfangen und senden. Es ist möglich, sich ein individuelles Fernsehprogramm zusammenzustellen und dieses Programm anzuschauen, wann immer den Kund:innen danach ist. Damit ist CTV für Werber:innen hochinteressant, denn CTV ermöglicht es, passgenaue Werbung auszuspielen. Außerdem ist es bei allen Altersgruppen angekommen, bietet somit die Möglichkeit, jegliche Demographie und persönliche Vorlieben zu treffen.
Eine aktuelle Studie von Magnite zeigt: CTV-Nutzer aus dem deutschsprachigen Raum sind mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit (217 Prozent) gegenüber anderer Werbung bereit, ein Produkt zu kaufen, nachdem es zuvor über ihr CTV-Gerät eingeblendet wurde.
Auf der DMEXCO21 haben Anna Petrushkina von Google Ads und Patrick Kettenbach von DAZN vorgestellt, welche Vorteile CTV für Werbetreibende liefert.
TV-Werbung mit Social TV
Social TV ist die Verbindung von Social Media und TV-Inhalten in Form von Videos oder Live-Events. Facebook ist in diesem Gebiet der absolute Marktführer. Laut einer Analyse von Faktenkontor haben schon 24 Prozent der deutschen Internet-Nutzer:innen einmal ein Produkt erworben, das ihnen über Facebook-Werbung angeboten wurde. Damit liegt die Effizienz der Facebook-Werbung in etwa auf dem gleichen Niveau wie bei Radiowerbung.
Livestream Shopping und Werbung über spezielle TV-Formate
Die Social-Media-Plattform Pinterest bietet seit November 2021 ein eigenes TV-Format. Dieses richtet sich vor allem an Nutzer:innen mit Interesse an Themen wie Food, Beauty, Home und DIY.
Gleichzeitig entwickeln sich Werbeformen, die sich an konventionelle TV-Formaten anlehnen, aber im Internet angeboten werden. „Douglas live“ oder „Tchibo live“ sind Shoppingerlebnisse per Live Stream. Livestream Shopping ist in China schon der große Hit und bedeutet zugleich ein Revival des als altbacken geltenden Tele-Shoppings.
Fazit: TV-Werbung wird noch lange von großer Bedeutung für Werbetreibende bleiben. Die Konsument:innen nutzen nach wie vor die entsprechenden Angebote. Allerdings gehen mit der Entwicklung vom linearen zum personalisierten Fernsehen veränderte Werbemöglichkeiten einher, die hocheffizient und wesentlich besser quantifizierbar sind. Lang lebe die TV-Werbung!