„Wenn es um mehr als um Geld geht, ist gute Philosophie gefragt.“
Die DMEXCO ermutigt zum Nachdenken über Geschäft und Branche – Der Philosoph Dr. Brennan Jacoby über Vertrauen und wie wir es schaffen können, unserer Arbeit mehr Sinn zu verleihen.
Mit dem Motto „Trust in you“ setzt die DMEXCO ein klares und unmissverständliches Zeichen. Inmitten stürmischer Zeiten – betrachtet man die rasante Entwicklung von Technologie und Märkten – spielt gegenseitiges Vertrauen eine immer bedeutendere Rolle. Hinzu kommt, dass das Selbstvertrauen der Menschen in der digitalen Ökonomie, sich mit neuen Herausforderungen auseinanderzusetzen, eine wichtige Voraussetzung darstellt. „Wir möchten das fördern“, sagt Judith Kühn, Director Conference und Vorstandsmitglied der DMEXCO. „Für uns ist es wichtig, während der zwei Tage des Events nicht nur Impulse zu setzen, Anregungen zu geben und praxisorientiertes Wissen zu vermitteln, wir möchten unsere Besucher auch zum Nachdenken einladen“, so Kühn.
„Als Konferenzteam interessieren wir uns zunehmend auch für ethische und philosophische Themen. Und wir können beobachten, dass Branchentrends immer mehr auch auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragt werden“, fügt sie hinzu. Bei der Suche nach geeigneten Rednern stieß sie auf Dr. Brennan Jacoby. „Mit den Impulsen, die er gibt, schafft er es, die moderne Welt und die Philosophie näher zusammen zu bringen“, fasst Kühn zusammen.
Grund genug, dem amerikanischen Philosophen, der mittlerweile in England lebt und in ganz Europa tätig ist, ein paar Fragen zu stellen.
DMEXCO: Wir alle kennen die frühen europäischen Philosophen wie Plato, die des Mittelalters wie z. B. Meister Eckart, Voltaire, Rousseau und Kant als Denker der frühen Moderne und später dann Marx und Huxley. Sehr spät erst haben wir Europäer uns mit asiatischen Denkweisen auseinandergesetzt, z. B. mit dem Buddhismus oder Daoismus. Was ist heute davon übrig geblieben? Gibt es noch sichtbare Spuren dieser Pioniere? Wie hat sich die Philosophie in den vergangenen Jahrhunderten entwickelt?
Dr. Brennan Jacoby: Ich glaube, dass bis heute mehr als nur Spuren davon übrig geblieben sind. Wenn Sie sich die Etymologie des Begriffs „Philosophie“ anschauen, dann bedeutet er einfach nur die Liebe (philo) zur Weisheit (sophia). Als Philosoph, der mit Führungskräften aus unterschiedlichen Branchen, Sektoren und Geografien arbeitet, stelle ich immer wieder fest, dass das Streben nach Weisheit für die praktische Arbeit von zentraler Bedeutung ist. Wir finden dafür dann Bezeichnungen wie „innovative Problemlösung“, „Ideenfindung“, „strategische Entscheidungsfindung“ oder „Wohlbefinden bei der Arbeit“, aber all diese Bestrebungen lassen sich ganz gut unter dem philosophischen Oberbegriff des „Strebens nach Weisheit“ subsumieren. Obwohl es mir eher darum geht, Menschen zum eigenständigen Denken anzuregen, anstatt ihnen nur die Geschichte der Philosophie zu vermitteln, sind die großen historischen Philosophen immer noch relevant. Wenn Platon beispielsweise in seinem berühmten Höhlengleichnis über Erleuchtung und Aufklärung spricht, dann beschreibt er die Wahrnehmung des Lebens durch den Menschen als eine eingeschränkte, schattenhafte Version dessen, was tatsächlich „wahr“ ist – eine Erkenntnis, die viel über unserer aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen in Bezug auf unseren Umgang mit sozialen Medien und Echokammern aussagt. Egal, ob wir uns mit klassischen, modernen, westlichen oder östlichen Philosophen befassen, es geht im Grund nur um Menschen, die erkannt haben, dass die Beschäftigung mit der Komplexität des Lebens an sich einen Wert hat, auch wenn dabei nicht zwangsläufig Reichtum oder Glück entsteht – und das hat heute eine enorme Relevanz. Immer, wenn Menschen auf der Suche nach mehr als Geld und Vergnügen sind, ist gute Philosophie gefragt.
DMEXCO: Was kann die Philosophie heute im Zeichen der Digitalisierung leisten? Kann und muss sie die Beziehung zwischen Mensch und Maschine im Hinblick auf die zunehmende Automatisierung und das Aufkommen von künstlicher Intelligenz neu definieren?
Dr. Brennan Jacoby: Die Beschäftigung mit Fragen des menschlichen Daseins und der Beziehung zwischen Menschsein, Menschlichkeit und Technologie hat schon lange zur philosophischen Praxis gehört. Im Gegensatz zu früher, als Philosophen Gedankenexperimente zur künstlichen Intelligenz anstellen mussten, sind diese Dinge für uns viel greifbarer geworden. Das großartige an der Philosophie ist, dass sie ohne weiteres von Hypothesen ablassen kann, die sich als falsch erwiesen haben. Wenn uns die Digitalisierung also etwas darüber offenbart, was es heißt, Mensch zu sein, dann sollten Philosophen diese Erkenntnis als einen Schritt hin zu einem tieferen Verständnis begrüßen. Ich persönlich bin überzeugt, dass unser Umgang mit Technologie sicherlich Einfluss auf die menschliche Erfahrung hat, aber das bedeutet für mich nicht, dass wir dadurch grundlegend verändert werden.
DMEXCO: Welche Rolle spielt Vertrauen in diesem Zusammenhang? Müssen wir lernen, digitaler Technologie mehr zu vertrauen?
Dr. Brennan Jacoby: Ich glaube, wir sollten immer dann vorsichtig sein, wenn wir glauben, an einen Punkt gekommen zu sein, an dem wir vertrauen müssen. Obwohl Vertrauen große Vorteile hat, kann es auch unangebracht und unverhältnismäßig sein, was zum Machtmissbrauch einlädt. Ich stimme Onora O’Neill zu, die gesagt hat, dass wir um fundiertes Vertrauen und fundiertes Misstrauen bemüht sein sollten. Ist unser Vertrauen in die digital Technologie also fundiert? Meine Antwort lautet, genau wie bei Vertrauen in Menschen: Es kommt darauf an. Wir sollten uns zunächst darüber klar werden, ob so etwas wie digitale Technologie überhaupt vertrauenswürdig sein kann, was eine bedeutende Frage darstellt. Sollte nämlich Wohlwollen gegenüber den Vertrauenden eine notwendige Voraussetzung für Vertrauenswürdigkeit sein, dann verdient Technologie unser Vertrauen nicht, es sei denn, wir können ihr einen eigenen Willen zusprechen, und obwohl ich kein Experte für KI und maschinelles Lernen bin, denke ich, dass wir davon noch einiges entfernt sind. Es ist stattdessen wahrscheinlich hilfreicher, von unserer Abhängigkeit von digitaler Technologie zu sprechen und uns zu fragen, in welchem Maße Technologie zuverlässig ist oder nicht.
DMEXCO: Wie wird sich die Definition von Wertschöpfung in Zukunft verändern? Wie wird die Gesellschaft von morgen aussehen? Welche Werte werden von Bedeutung sein?
Dr. Brennan Jacoby: Obwohl die Philosophie ihre Position an der Schnittstelle von deskriptiven Fakten darüber, wie die Welt aussieht, und normativen Werten, wie sie aussehen sollte, bezieht, ist sie wie alle anderen Disziplinen auch beschränkt in ihrer Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen. Nichtsdestotrotz würde es mich nicht überraschen, wenn wir in Zukunft eine gesteigerte Wertschätzung für alles Substantielle beobachten könnten – d. h. alles, das sich nachhaltig und erdend für uns anfühlt. In einem Zeitalter der ständigen Verfügbarkeit von Informationen und scheinbarer Anpassungsfähigkeit in fast allen Bereichen, von der Politik über gesellschaftliche Normen bis hin zu unseren Arbeitsverhältnissen, bleiben wir trotzdem immer noch Menschen mit Gehirnen, die Ordnung und Sicherheit bevorzugen. Wir haben also großen Hunger nach Bedeutung und etwas, das wir als Sinnstiftung bezeichnen könnten. Und innerhalb unserer Wissensökonomie ist die Fähigkeit, Informationen einen Sinn zu geben, von unschätzbarem Wert. Ich wäre also nicht überrascht, wenn Substanz in Zukunft einen höheren Stellenwert haben wird als Geschwindigkeit.
DMEXCO: Werden die Menschen in Politik und Wirtschaft ihre Beziehungen zueinander angesichts der ersten bedrohlichen Anzeichen des zunehmenden Klimawandels auf eine neue Grundlage stellen müssen?
Dr. Brennan Jacoby: Ja.
DMEXCO: Welchen Beitrag kann die Philosophie zu ethischen Prinzipien in der Geschäftswelt leisten?
Dr. Brennan Jacoby: Auch hier müssen wir eine Unterscheidung treffen: Wie in vielen anderen Lebensbereichen auch, lassen sich „ethische Geschäftsprinzipien“ am besten vom Standpunkt der Moral aus verstehen. Im Gegensatz zur Moral, also der vorgegebene Art und Weise einzuordnen, was gut und schlecht, richtig und falsch ist, setzt die Ethik sich kritisch mit Moral auseinander, damit die Grundsätze, die die Moral einer Person, einer Familie, eines Unternehmens oder einer Nation ausmachen, so gut ausgestaltet sind wie möglich. Heutzutage wird viel über moralische Grundsätze in der Geschäftswelt geredet, wir hören aber nicht ansatzweise so viel über Ethik. Die Philosophie befindet sich in der perfekten Position, einen Schritt zurückzutreten, um sich mit der Moral eines Unternehmens, welche sich aus seiner Kultur, seinen Werten, Zielvorstellungen und Praktiken zusammensetzen könnte, auseinanderzusetzen und zu überprüfen, ob sich diese Moralität nicht nur auf eine Reihe selbst gewählter Prinzipien bezieht, sondern ob es in einem tieferen Sinne ethisch handelt.
DMEXCO: Der „Sinngehalt von Arbeit“ bestimmt immer mehr das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und gibt dabei Anlass zur Kontroverse. Gibt es ein Bedürfnis nach einer neuen Sinnhaftigkeit? In welchem Maße trägt die Digitalisierung dazu bei? Und stört sie dabei eher oder ist sie hilfreich?
Dr. Brennan Jacoby: Ich glaube bei der Kontroverse um den „Sinngehalt von Arbeit“ geht es auch darum, dass wir mehr aus unseren Jobs machen wollen, als was sie eigentlich sind. Skeptiker bezweifeln wahrscheinlich, ob unsere Arbeit in einem tieferen Sinne überhaupt immer sinnvoll sein muss, und ich habe dafür ein gewisses Verständnis. Wenn ich am Ende der Woche meine Reisekostenabrechnung durchgehe, muss das für mich nicht sinnhaft sein, es muss einfach nur erledigt werden. Aber ich glaube nicht, dass es das ist, worum es den Verfechtern einer Arbeit mit größerem Sinngehalt eigentlich geht. Das Verständnis von sinnhafter Arbeit, das die meisten von uns anstreben, liegt in der Mitte zwischen der Abwesenheit von Sinn und der Suche nach Sinn in allem: Wir wollen einfach nur sichergehen, dass wir unser Leben nicht verschwendet haben. Es muss nicht jeder Moment des Tags sinnerfüllt sein, aber wir wollen auch rückblickend nicht denken, dass wir es hätten besser machen können. In dieser Hinsicht ist die Digitalisierung was ihre Auswirkung auf unsere Arbeit angeht nicht einzigartig. Dank der digitalen Revolution haben einige Menschen mittlerweile Aufgaben, die insgesamt betrachtet mehr Sinngehalt für sie haben, während für andere wohl das Gegenteil zutrifft. Dasselbe ließe sich jedoch über die Entwicklungen im Bereich der Landwirtschaft, der Finanzwelt oder der Medizin sagen, um nur einige zu nennen. Wichtig ist, dass wir in der Lage sind, darüber nachzudenken, welche Auswirkungen unsere Arbeit auf uns und andere hat – aber was soll ein Philosoph auch schon anderes dazu sagen!