China mutiert zum Silicon Dragon

Das Silicon Valley gilt als Zentrum der Digitalisierung, doch China drängt mit Macht auf den Technologie-Thron.

China mutiert zum Silicon Dragon

Das Silicon Valley gilt seit vielen Jahren als weltweit führender Technologie-Standort und Epizentrum für Innovationen. Wohl keine andere Region konnte in den letzten Jahren eine größere Anzahl von Vorstandsreisen aus Europa und auch Deutschland für sich verbuchen. Immer ging es dabei vor allem um den Innovationsgeist, den auch die deutschen Unternehmen gerne für ihre eigene digitale Transformation adaptieren würden. Aber vielleicht hat die GAFA-Dominanz unseren Blick auch zu sehr in die eine Richtung gelenkt, denn in China spielen Google, Apple, Facebook und Amazon nur eine untergeordnete Rolle. Stattdessen hat sich dort mit den BATX-Unternehmen ein alternatives Technologie-Unternehmen-Konglomerat gebildet, das den gigantischen Markt China dominiert. Baidu, Alibaba, Tencent und Xiaomi sind dabei keinesfalls nur auf den heimischen Markt fixiert, sie investieren mehr und mehr auch im Ausland.

Silicon Valley vs. Silicon Dragon

Vergleicht man nur die Märkte USA und China miteinander, so liegen die BATX-Unternehmen bereits heute in vielen Bereichen vorne, wie der „China-Internet-Report“ sehr schön zeigt. Ausschlaggebend ist dafür schlicht die Größe des Marktes. China hat schon jetzt mehr als doppelt so viele Internetnutzer (772 vs. 292 Millionen). Ein Blick auf die Online-Quoten zeigt zudem, dass China noch deutlich mehr Steigerungspotenzial aufweist. Lediglich 55 Prozent der Chinesen haben Zugang zum Internet, in den USA sind es dagegen bereits 89 Prozent.

In einem anderen Vergleich wird deutlich, dass eine spätere Entwicklung kein genereller Nachteil sein muss. Während die US-Wirtschaft das Internet maßgeblich mitentwickelt hat, dauerte es mit der Verbreitung des Internets in China deutlich länger. Dadurch sind viele Chinesen erst in der Mobile-First-Ära zum Onliner geworden. Das Smartphone ist oft kein zusätzliches Gerät zum Kontakt mit dem Web, sondern der einzige Kontaktpunkt. Mobile Services müssen sich in China daher nicht erst gegen die gewohnten Desktop-Services durchsetzen, sondern werden viel schneller angenommen. Die chinesischen Tech-Unternehmen investieren folgerichtig massiv in mobile Angebote, die von den Nutzern schnell akzeptiert werden. In westlichen Ländern herrscht dagegen auf beiden Seiten Zurückhaltung: Investitionen bleiben aus, weil die Nutzer keine Nachfrage generieren – oder gibt es keine Nachfrage, weil es keine Angebote gibt?

Ein gutes Beispiel für die unterschiedliche Dynamik in den Märkten ist das Thema Mobile Payment. Laut „China-Internet-Report“ nutzen in den USA lediglich 15 Prozent der Menschen (48 Millionen) mobile Zahlungsmethoden, während es in China bereits 37 Prozent sind (527 Millionen). Dank etablierter Payment-Dienstleister wie Alipay (Alibaba) oder WeChat Pay (Tencent) nutzen die Chinesen das Smartphone auch für Bezahlvorgänge, die eigentlich keine typischen Situationen für Mobile Payment darstellen, wie zum Beispiel das Begleichen der Stromrechnung. Und selbst auf ihren Reisen nach Deutschland müssen die Chinesen nicht auf ihr gewohntes bargeldloses Bezahlen verzichten: Am Münchener Flughafen etwa können chinesische Touristen dank Wirecard in zahlreichen Shops sowohl mit Alipay als auch mit WeChat Pay bezahlen.

“China zeigt, wie das Bezahlen der Zukunft aussieht: Mit einer Lösung wie Alipay ist nicht nur das Bezahlen per Smartphone überall möglich, sondern auch das Empfangen von Gutscheinen, Rabatten oder Empfehlungen von Freunden. Für Händler eine tolle Möglichkeit, mit potentiellen Kunden in Kontakt zu kommen – auch in Europa. Wir sind stolz darauf, solche zukunftsweisenden Lösungen hierher zu bringen und bereits bei vielen verschiedenen Unternehmen wie beispielsweise The Body Shop, Swarovski oder Rossmann integriert zu haben”, sagt Markus Eichinger, Executive Vice President Group Strategy, Wirecard AG.

BATX forciert die Zukunft der Digitalisierung

Mobile Payment ist aber nur eins von vielen Beispielen, mit denen die BATX Innovationen vorantreiben. In der Greater Bay Area rund um die Metropolen Hong Kong, Shenzhen und Guangzhou entstehen massenhaft innovative Startups, von denen mehr als 1.000 in der letzten Dekade von den BATX übernommen wurden. So können sie ihr ursprüngliches Kerngeschäft kontinuierlich ausbauen und sich in Bereichen wie KI, Social Media, Cyber-Security, Mobility oder Autonomes Fahren etablieren. Damit entstehen große Geschäftsökosysteme über verschiedene Branchen hinweg, die sich gegenseitig unterstützen und weniger krisenanfällig sind.

Möglich wird das auch durch die staatliche Abschottung, die die amerikanische Konkurrenz größtenteils ausschließt. Zudem bedienen sie ihren riesigen lokalen Markt perfekt, indem sie sehr kundenzentriert agieren und sich immer wieder fragen: Was können wir noch für unsere Kunden tun?

Die Gefahr für die GAFA besteht aber nicht nur darin, dass sie auf dem chinesischen Markt keine Rolle spielen, sondern im Expansionsbestreben der BATX. Getrieben von Innovationen und Kundenzentriertheit haben die chinesischen “Big Four” gute Chancen auf dem gesamten südostasiatischen Markt. Aber auch in Afrika könnten Alibaba & Co. die Nase vorne haben, denn dort besteht der primäre Internetzugang ebenfalls über das Smartphone. „Man ignoriert China nur noch auf eigene Gefahr“, brachte es Gary Rieschel vom chinesischen Risikokapitalgeber Qiming Venture Partners auf der Brainstorming Tech Conference auf den Punkt.

Fazit: Kundenzentrierung als Strategie

Bleibt die Frage, wie die GAFA auf die Bedrohung reagiert. Die konsequente Ausrichtung am Kundennutzen ist zwar eine Strategie, mit der auch Google, Apple, Facebook und Amazon die Basis für ihre Dominanz gelegt haben, doch gilt das auch heute noch? Die Kundenanforderungen verändern sich im Zuge der Digitalisierung permanent und sehr dynamisch, so dass sich auch die GAFA immer wieder anpassen müssen, um nicht zum nächsten Nokia zu werden. Vor gerade mal sieben Jahren war der finnische Konzern noch Marktführer der Mobiltelefonhersteller – und heute?